Die schwarze Kathedrale
ich weiß, können die beiden Schulen sich nicht ausstehen.«
Er lachte. »Die Jungen prügeln sich natürlich. Aber ich glaube nicht, daß es irgendwelche offiziellen Mißstimmungen gibt.«
»Mein Freund Fickling hat mir erzählt, die Spannungen zwischen den beiden Instituten gingen so weit, daß seine Freundschaft mit einem Lehrer der Chorschule auf Kritik stoße.«
»Ach, ich glaube nicht, daß die Freundschaft als solche Anstoß erregt«, erwiderte der junge Mann schnell. Dann errötete er und sagte: »Dr. Locard hat mich gebeten, Ihnen seine Entschuldigung zu übermitteln, Dr. Courtine. Er wird nicht in der Lage sein, Ihnen zu helfen, wie er gehofft hatte. Er muß sich auf die Sitzung des Domkapitels vorbereiten; es ist unerwartet ein schwieriges Problem aufgetreten.«
»Das ist natürlich sehr bedauerlich.« Die Entschuldigung paßte zu der Einladung zum Abendessen, die der Bibliothekar erst ausgesprochen und dann wieder zurückgezogen hatte; und meine Chancen, zu finden, was ich suchte, wurden dadurch noch weiter gemindert.
Der junge Mann mußte die Enttäuschung in meinem Gesicht bemerkt haben, denn er schlug vor, ich solle doch eine Tasse Kaffee mit ihm trinken, bevor ich meine staubige Arbeit im Keller wieder aufnahm. Dann fügte er hinzu: »Wenn Pomerance kommt, macht er Feuer, und wenn wir noch ein Weilchen warten, wird es unten ein bißchen wärmer.«
Ich nahm sein Angebot dankbar an, obwohl ich mir sagte, daß die Wärme bestimmt nicht bis dahin vordringen würde, wo ich zu arbeiten hatte. Als er vor mir her zu der behaglichen Nische ging, in der er den Kaffee zubereitete, erklärte Quitregard: »Ich glaube, ich kann Ihnen, ohne damit ein Geheimnis preiszugeben, verraten, daß wir heute eine Art Krise haben. Die Sitzung des Domkapitels wird lang und kompliziert werden.«
Ich erinnerte mich, daß Gazzard gesagt hatte, daß heute in der Sitzung über die Schule gesprochen werden sollte, und nahm an, daß die Krise mit dem Klatsch zusammenhing, den ich am Abend zuvor in der Bar gehört hatte. Ich wollte Quitregard jedoch nicht mit weiteren Fragen in Verlegenheit bringen. Also setzten wir uns und warteten, bis das Wasser kochte. »Natürlich tut es mir sehr leid, daß Dr. Locard nicht in der Lage ist, mir seine wertvolle Unterstützung zu leihen«, erklärte ich. »Aber ich fürchte, daß keine Hilfe der Welt mir etwas nützen könnte. Selbst wenn das Manuskript hier wäre, könnte ich sechs Monate lang danach suchen und es doch nicht finden.«
Der junge Mann wirkte ein bißchen verlegen, als er sich über den Ofen beugte. Ob es ihm peinlich war, daß er mein Gespräch mit Dr. Locard über dieses Thema mitgehört hatte? »Ich wünschte, ich könnte Ihnen behilflich sein«, sagte er. »Ich würde alles darum geben, das Manuskript für Sie zu finden, und ich bin sicher, daß es Dr. Locard wesentlich lieber wäre, wenn es von einem seiner eigenen Leute entdeckt würde.«
»Das würde ich mir auch wünschen. Dr. Locard hat in sehr schmeichelhaften Worten von Ihnen gesprochen und war so freundlich anzukündigen, daß er vielleicht ein paar Stunden auf Sie verzichten wolle, damit Sie mir Beistand leisten können.«
»Wirklich?« Quitregard wandte sich um, um eine Kaffeekanne vom Regal zu nehmen, und sagte über die Schulter: »Zu meinem Leidwesen muß ich Ihnen mitteilen, daß Dr. Locard mich erst gestern nachmittag darauf hingewiesen hat, wie wichtig es sei, daß wir mit dem Katalogisieren der Manuskripte fortfahren. Er hat mir Arbeit für eine ganze Woche oder mehr zugeteilt.«
»Das ist bedauerlich. Aber wenigstens bin ich in den Genuß von Dr. Locards Rat gekommen. Seine Interpretation des einzigen Beweisstücks, das ich habe, war meisterhaft. Ich sollte wohl sagen, daß es sich dabei um einen Brief eines Sammlers und Herausgebers alter Urkunden zur Zeit der Restauration namens Pepperdine handelt, der …«
»Ich muß gestehen, daß ich Ihr Gespräch mitgehört habe«, sagte der junge Mann entschuldigend und sah von seiner Arbeit über der Kaffeekanne auf. »Ich hatte keinen Grund zu der Annahme, daß es vertraulich sei.«
»Es war auch in keiner Weise vertraulich. Aber in diesem Fall werden Sie wissen, wie brillant Dr. Locard den äußeren Anschein des Beweisstücks durchschaute und seine wahre Bedeutung entdeckte. Es war eine überaus beeindruckende Demonstration einer historischen Analyse.« Quitregard beugte sich über den Wasserkessel, so daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Ich fuhr
Weitere Kostenlose Bücher