Die schwarze Kathedrale
Schule hat in seinem sonst so harten Herzen nämlich einen enormen Stellenwert, denn seine Kindheit war schwierig, und einer oder zwei von den Lehrern waren freundlich zu ihm.«
Die Uhr der Kathedrale schlug die Stunde, und ich stand auf.
»Es war sehr nett, mit Ihnen zu plaudern, aber ich muß mich jetzt an die Arbeit machen.«
Quitregard sprang ebenfalls auf. »Wollen Sie wirklich im Keller weitersuchen?«
»Natürlich«, antwortete ich. Nach allem, was ich ihm erzählt hatte, erstaunte mich seine Frage.
Er zögerte einen Augenblick, als wolle er etwas sagen, was ihm unangenehm war, aber dann lachte er und meinte: »Ich fürchte, es wird kalt dort unten sein. Pomerance ist noch nicht eingetroffen, um Feuer zu machen. Er weiß, daß Dr. Locard am Donnerstag gewöhnlich in der Sitzung des Domkapitels ist und kommt deshalb an diesem Tag meistens zu spät.«
Ich dankte ihm für den Kaffee, ging hinunter zu den Stapeln modriger Manuskripte und nahm meine Suche wieder auf. Quitregards Frage hatte harmlos geklungen, aber sie machte mich dennoch unsicher. War meine verzweifelte Suche der richtige Weg zum Ziel? Das eigenartige Betragen des Bibliothekars, seine Einladung zurückzuziehen, seine Verabredung nicht einzuhalten und, wie Quitregard zu erkennen gegeben hatte, mir die Unterstützung seiner Angestellten zu verweigern, hatte mich auf die Idee gebracht, Dr. Locard, der so besessen war von der Rivalität zwischen den Gelehrten, von ausgeklügelten Winkelzügen und Gegenzügen, könnte vielleicht auf meine Entdeckung, daß Grimbalds Manuskript sich möglicherweise in diesem Gebäude befindet, eifersüchtig sein. Hatte er womöglich beschlossen, selbst nach dem Manuskript zu suchen? Wie Mrs. Sistersons unvorsichtige Bemerkung nahegelegt hatte, fand er es vielleicht demütigend, wenn ein Außenstehender direkt unter seiner Nase eine so bedeutende Entdeckung machte. Schließlich wollten er und seine Angestellten ja demnächst damit beginnen, das verbliebene Material zu katalogisieren. Austin hatte mich vor seinem Ehrgeiz gewarnt und angedeutet, daß er auch skrupellos sei. Aber obwohl ich ersteres akzeptiert hatte, hatte ich mich geweigert, auch die zweite Eigenschaft in ihm zu sehen. Ob ich ihm zu sehen. Ob ich zu naiv gewesen war? Hatte Dr. Locard mir absichtlich einen Rat erteilt, der mich dazu veranlassen sollte, meine Zeit zu vergeuden? Hatte er in Wirklichkeit mir angetan, was Pepperdine angeblich Bullivant angetan hat? Hatte Dr. Locard angefangen, sich mit angelsächsischer Geschichte zu befassen und aus diesem Grund meinen Artikel und Scuttards Antwort darauf gelesen, was sonst ein überraschender Zufall gewesen wäre?
Den ganzen Vormittag arbeitete ich mich durch Berge von spinnwebbedeckten, brüchigen Manuskripten. Die Tatsache, daß Pomerance nicht auftauchte, erschwerte mir meine Arbeit noch zusätzlich, obwohl er mir nur bei dem physischen, nicht aber bei dem intellektuellen Teil meiner Mühen hätte behilflich sein können.
Gegen Mittag verließ ich die Bibliothek und stapfte mühsam durch den Schnee, der unterdessen zu Matsch zertreten worden und dann zu einer Eismasse aus Schlamm und Steinen zusammengefroren war. Ich begab mich zum Mittagessen in das gleiche Lokal, in dem ich auch am Vorabend gegessen hatte, aber diesmal ging ich nicht in die Bar. Als ich kurz nach ein Uhr in die Bibliothek zurückkehrte, war Quitregard gerade dabei, Kaffee zu kochen, und ich nahm seine Einladung dankend an, eine Tasse mit ihm zu trinken.
Gerade als das Wasser im Kessel zu kochen begann, kam Pomerance hereingestürzt und schrie: »Der Chef hat gewonnen. Sheldrick ist am Ende. Sie haben ihn regelrecht in Stücke gerissen. Jetzt ist es aus mit ihm. Er kann sich einsargen lassen. Es ist schon in aller Munde!« Dann entdeckte er mich und hielt plötzlich inne. Sein langes, knochiges Gesicht wurde puterrot.
Quitregard lächelte. »Setz dich hin und trink eine Tasse Kaffee, Pomerance.« Der junge Mann plumpste in einen Stuhl wie eine Marionette, der man die Schnüre abgeschnitten hat. »Er kommt gerade von der Chorprobe«, erklärte mir Quitregard, »wo der Gesang offenbar während der gelegentlichen Pausen im Austausch von Klatsch stattfindet.«
»Das ist nicht fair. Der Chorleiter ist ein echter Drachen. Er nimmt uns ganz schön ran.«
»Wenn dem so ist, sollte ich mir seine furchterregenden Eigenschaften vielleicht zu eigen machen.«
»Übrigens«, sagte Pomerance. »Morgen nachmittag brauche ich nicht frei zu
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