Die Schwarze Keltin
sah nach vorn. Durch die hier weiter auseinander stehenden Bäume waren glitzernde Reflexe zu sehen, die auf einer Wasserfläche funkelten. Sie näherten sich dem Meer. Links von Mark zweigte ein schmaler Fußweg ab und führte durch die Bäume zu einer Hütte mit einem niedrigen Dach, einige Schritte vom Reitweg entfernt.
»Das ist die Hütte.«
»Sie ist auch hier gewesen«, sagte Cadfael. Das Gras erschien silbergrün, und seine frische Farbe war vom sanften Tau des Regens gedämpft, der am Boden, wo kein Wind ging, haften geblieben war. Doch hier hatte zweifellos ein Pferd eine Spur aus dunkleren Stellen hinterlassen, wo die frischen Halme umgetreten waren, denn der Pfad zu der Behausung war sehr schmal. Der Reiterweg, auf dem sie haltgemacht hatten, war regelmäßig in Gebrauch, und sie hatten nicht daran gedacht, hier nach Spuren zu suchen. Doch seit dem Regen war hier bestimmt ein Pferd an den Büschen vorbeigekommen, denn ein paar junge Triebe waren mit der Spitze abgebrochen worden, und die Hufspuren im hohen Gras wiesen deutlich die Richtung, in die das Tier gelaufen war. »Sie ist schon heute früh hier durchgeritten«, sagte Cadfael.
Sie stiegen ab und näherten sich der Zelle zu Fuß. Es war ein einzelner, niedriger Raum, für eine Frau gebaut, die so gut wie nichts zum Leben brauchte außer ihrem kleinen, aus Steinen errichteten Wandaltar und ihrer schlichten Strohpritsche an der Wand gegenüber und draußen dem kleinen Garten für Kräuter und Gemüse. Die Tür war zugezogen, besaß aber kein Schloß, das von außen zu erkennen gewesen wäre und innen auch keine Klinke, bloß einen Riegel, den jeder Reisende lösen konnte, um dann einzutreten. Der Ort war jetzt leer. Nonna hatte dem ausdrücklichen Wunsch des Bischofs gehorcht und sich in eine sichere Unterkunft nach Bangor bringen lassen.
Wie freiwillig sie das getan hatte, war nicht mehr auszumachen.
Wenn während ihrer Abwesenheit ein Besucher hier gewesen war, hatte er sich unterdessen auch wieder entfernt. Doch an einer freien Stelle zwischen den Bäumen hatte ein Pferd Spuren hinterlassen, das hier offenbar Gras gefressen und sich an der langen Leine bewegt hatte, noch vor dem Regen, denn an den Grashalmen hafteten noch frische Wassertropfen. Und an einer Stelle hatte das Tier seine Pferdeäpfel fallen lassen, frisch und noch feucht, aber bereits kalt.
»Sie hat hier die Nacht verbracht«, sagte Cadfael, »und ist am nächsten Morgen nach dem Regen aufgebrochen. Wer weiß, in welche Richtung! Sie ist aus dem Landesinneren gekommen, aus den Hügeln und durch den Wald, so hat es der Priester gesagt. Hat sie da oben an einen Zufluchtsort gedacht, einen Verwandten von Meirion, der sie aufnehmen mochte?
Und hatte sie auch diesen Ort bereits verlassen vorgefunden und an die Einsiedlerin als ihre nächste Hoffnung gedacht? Das würde erklären, warum sie so lange gebraucht hat, um hierher zu kommen. Doch wie können wir sagen, wohin sie jetzt gegangen ist?«
»Jetzt weiß sie über die Gefahr Bescheid, die vom Meer aus droht«, sagte Mark. »Bei solch einer drohenden Gefahr würde sie sich doch bestimmt nicht nach Westen wenden? Aber zurück nach Bangor und zu ihrem Bräutigam? Sie hat schon soviel riskiert, um ihm zu entkommen. Würde sie sich denn zurück auf den Weg nach Aber und zu ihrem Vater machen?
Das würde sie vor dieser Heirat nicht bewahren, gegen die sie doch soviel einzuwenden hat.«
»Das würde sie«, entgegnete Cadfael, »in gar keinem Fall tun. So merkwürdig es auch sein mag, liebt sie ihren Vater doch genausosehr, wie sie ihn haßt. Das eine Gefühl ist ein Spiegelbild des anderen. Sie haßt ihn, weil ihre Liebe weit stärker ist als irgendein Gefühl, das er für sie hegt, weil er so sehr willens und bereit zu sein scheint, sie aufzugeben, sie unter allen Umständen wegzugeben, damit sie nicht länger seinem Ruf und seinem Fortkommen als Kirchenmann im Wege ist. Sie hat das einmal sehr deutlich ausgesprochen, wie ich mich erinnere.«
»Wie ich mich ebenfalls erinnere«, sagte Mark.
»Wie dem auch sei, sie wird nichts tun, um ihm ein Leid zuzufügen. Das Nonnenkloster hat sie ausgeschlagen. Auf diese Heirat ist sie nur ihm zuliebe eingegangen, weil sie ihr als das kleinere Übel erschienen ist. Aber sobald sich die Gelegenheit geboten hat, ist sie auch davor weggelaufen und hat entschieden, eher selbst fortzugehen als ihrem Vater im Weg zu sein oder andere Menschen Pläne schmieden zu lassen, um sie loszuwerden. Von
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