Die Schwarze Keltin
ganz zufrieden damit gewesen ist, Owains Gast zu sein und durch Owains Hand vor Schaden bewahrt zu werden.«
»Es gibt nur einen Mann, der die Wahrheit kennt«, sagte Cadfael, »und der hat guten Grund, den Mund zu halten. Doch trotz allem wird die Wahrheit herauskommen, der Fürst wird die Sache niemals auf sich beruhen lassen. Das habe ich Heledd so gesagt, und da hat sie mir nur geantwortet: ›Da sagt Ihr schon den nächsten Tod voraus. Was macht das wieder gut?‹«
»Sie hat recht«, stimmte Mark düster zu. »Sie begreift das besser als die meisten Fürsten oder Priester. Ich habe sie hier im Lager noch nicht gesehen. Darf sie sich hier drinnen genauso frei bewegen wie du?«
»Du kannst sie in diesem Augenblick sehen«, sagte Cadfael.
»Wenn du bitte mal den Kopf wendest und dort rechts hinunterschaust, siehst du ein Stück Strand, das spitz ins Meer ragt.«
Bruder Mark drehte gehorsam den Kopf, um in die Richtung zu schauen, in die Cadfael deutete. Das vorspringende Stück Sandstrand zu ihrer Rechten war mit groben gelben Gräsern bewachsen, die zeigten, daß es bei einer gewöhnlichen Flut nicht ganz überschwemmt wurde. So, wie es ins Meer ragte, wirkte es wie eine schmale Hand, die sich Anglesey entgegenstreckte. Auf der höchsten Stelle reichte der Erdboden für ein paar niedrige Büsche. Dort ragte ein kleiner Fels wie ein steinerner Knöchel aus dem weichen Sand. Dort ging Heledd ruhig entlang, auf den Fels zu und watete einmal knöcheltief durch seichtes Wasser, um ihn ganz zu erreichen; und sie setzte sich auf den Fels, schaute auf das Meer hinaus zur Küste Irlands, die sie nicht kannte und von hier aus auch nicht sehen konnte. Auf diese Entfernung erschien sie sehr zerbrechlich, sehr verletzlich, eine kleine, schmale und einsame Gestalt. Wenn sie sich soweit wie möglich von den Männern entfernte, die sie gefangenhielten, mochte darin ein harmloses Aufbegehren gegen ihr Schicksal liegen, dem sie körperlich nicht entfliehen konnte. Allein am Meer, mit dem freien Himmel über sich und vor sich das offene Meer, suchte zumindest ihr Verstand eine Art Freiheit. Bruder Cadfael fand das Bild täuschend reizvoll. Heledd war sich genau der Stärke wie auch der Schwäche ihrer Lage bewußt und wußte sehr gut, daß sie wenig zu fürchten hatte, selbst wenn sie zur Furchtsamkeit geneigt hätte, und das war ganz entschieden nicht der Fall. Sie wußte also, wie weit sie gehen konnte, um ihre Bewegungsfreiheit durchzusetzen. Der Küste der geschützten Bucht hätte sie sich gar nicht erst nähern können, ohne lange vorher abgefangen zu werden. Sie wußten, daß sie schwimmen konnte. Doch dieser äußere Strand bot ihr keine Fluchtmöglichkeit. Hier konnte sie durch das Niedrigwasser waten, und keiner würde einen Finger krümmen, um das zu verhindern. Es war kaum möglich, sich von hier auf den Weg nach Irland zu machen, auch wenn keine Wikinger-Schiffe vor der Küste vor Anker gelegen hätten. Sie saß ganz ruhig, die bloßen Arme um die Knie geschlungen und schaute nach Westen, doch hielt sie den Kopf so aufrecht, daß sie sogar auf diese Entfernung eindringlich zu lauschen schien. Seemöwen kreisten und schrien über ihr. Das Meer lag friedlich, sonnenbeschienen da, für den Augenblick träge wie eine Katze.
Und Heledd wartete und horchte.
»Hat jemals ein Geschöpf so verloren ausgesehen?« fragte sich Bruder Mark halblaut. »Cadfael, ich muß mit ihr so bald wie möglich reden. In Carnarvon habe ich ihren Bräutigam gesehen. Er ist schnell von der Insel gekommen, um zu Owain zu stoßen. Sie sollte wissen, daß er sie nicht im Stich lassen wird. Dieser Ieuan ist ein anständiger, aufrechter Mann und wird ordentlich um seine Braut kämpfen. Sogar wenn Owain versucht wäre, das Mädchen hier seinem Schicksal zu überlassen – und das ist ausgeschlossen –, würde Ieuan das nie dulden. Wenn er ihr nur mit den paar Männern zu Hilfe kommen müßte, die zu seinem Gefolge gehören, bin ich mir sicher, daß er auch davor nicht zurückschrecken würde. Kirche und Fürst haben sie ihm angeboten, und er ist für sie entflammt.«
»Ich glaube«, sagte Cadfael, »daß sie ihr einen guten Mann gefunden haben, mit allen Vorzügen außer einem. Ein schlimmer Mangel! Sie hat ihn sich nicht ausgesucht.«
»Sie hätte es viel schlimmer treffen können. Wenn sie ihm erst begegnet, mag sie ganz glücklich über ihn sein. Und in dieser Welt«, überlegte Mark mit Bedauern, »müssen Frauen, wie Männer, aus dem das
Weitere Kostenlose Bücher