Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
erleichtert, dass sie zwar verängstigt war, jedoch immer noch klar denken konnte. Während er darauf wartete, dass sie ihre Fassung wiedergewann, sah er den Moment, in dem sie die für Jaenelles Unterfangen benötigte Kunst bedachte – und würdigte.
»Sie baut eine Brücke von hier bis in die Hölle ?«
»Ja.«
Cassandra schob sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. Die senkrechte Falte zwischen ihren Brauen vertiefte sich, während sie angestrengt nachdachte. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Auf diese Weise können die Reiche nicht überbrückt werden.«
Saetan nahm sich sein Glas Yarbarah und trank es aus. »Offensichtlich doch – mit dieser Art Brücke.« Er betrachtete die Landkarte, fing am südlichen Ende der Insel an und arbeitete sich Abschnitt für Abschnitt nordwärts bis nach Beldon Mor vor. Seine langen Fingernägel pochten auf den Tisch. »Nicht eingezeichnet. Wenn es sich um ein kleines Dorf in der Nähe von Beldon Mor handelt, ist es vielleicht nicht bedeutsam genug, um extra aufgeführt zu werden.«
»Wenn es überhaupt ein Dorf ist«, murmelte Cassandra.
Saetan erstarrte. »Was hast du da eben gesagt?«
»Was, wenn es nur ein Ort ist? Es gibt viele Plätze, die eigene Namen tragen, Saetan.«
»Ja«, murmelte er leise vor sich hin und blickte geistesabwesend in die Ferne. Doch welcher Ort würde Kindern Derartiges antun? Er stieß ein frustriertes Knurren aus. »Sie verbirgt etwas hinter diesem verfluchten Nebel. Deshalb will sie nicht, dass jemand aus dem Dunklen Reich die Stadt betritt. Wen schützt sie?«
»Saetan.« Zaghaft legte Cassandra ihm eine Hand auf den Arm. »Vielleicht versucht sie, sich selbst zu schützen.«
In Saetans goldenen Augen zeigte sich ein hartes metallenes Funkeln. Er entzog Cassandra den Arm und ging im
Zimmer auf und ab. »Ich würde ihr niemals etwas zuleide tun. Sie kennt mich gut genug, um das zu wissen.«
»Meiner Meinung nach weiß sie, dass du ihr niemals vorsätzlich etwas zuleide tun würdest.«
Mit der graziösen Anmut eines Tänzers wirbelte Saetan auf den Fußballen herum. »Sag, was du zu sagen hast, Cassandra. Spuck es endlich aus!« Obwohl er leise sprach, verriet seine Stimme die aufkeimende Wut.
Cassandra bewegte sich durch das Zimmer, bis schließlich der Tisch zwischen ihnen war. Nicht, dass ihn das wirklich aufhalten würde. »Es geht nicht nur um dich, Saetan. Siehst du das denn nicht?« Flehend breitete sie die Arme aus. »Es geht ebenso um mich und Andulvar und Prothvar und Mephis.«
»Sie würden ihr nichts tun«, entgegnete er kühl. »Für dich kann ich natürlich nicht sprechen.«
»Jetzt wirst du beleidigend«, fuhr sie ihn an und holte tief Luft, um ihre Selbstbeherrschung zurückzuerlangen. »Also gut, sagen wir, du stellst dich heute Abend vor der Haustür ihrer Familie ein. Was dann? Es ist unwahrscheinlich, dass sie von dir oder uns anderen wissen. Hast du dir schon einmal Gedanken gemacht, welch ein Schock es für sie wäre, von eurem Umgang zu erfahren? Was, wenn man sie verstößt?«
»Sie kann bei mir leben«, knurrte er.
»Saetan, nimm Vernunft an! Willst du wirklich, dass sie in der Hölle aufwächst und mit toten Kindern spielt, bis sie ganz vergessen hat, wie es sich anfühlt, unter den Lebenden zu sein? Weshalb möchtest du ihr dieses Schicksal aufbürden? «
»Wir könnten in Kaeleer leben.«
»Wie lange? Vergiss nicht, wer du bist, Saetan. Wie begierig werden ihre kleinen Freunde wohl sein, zum Spielen ins Haus des Höllenfürsten zu kommen?«
»Miststück«, flüsterte er, wobei seine Stimme vor Schmerz zitterte. Erneut goss er sich Yarbarah ins Glas,
trank ihn kalt und schnitt aufgrund des Geschmacks eine Grimasse.
Plötzlich erschöpft, ließ Cassandra sich auf einen Stuhl am Tisch sinken. »Vielleicht bin ich ein Miststück, aber deine Liebe ist ein Luxus, den sie sich vielleicht nicht leisten kann. Sie hat uns alle absichtlich ausgesperrt und lässt sich nicht mehr blicken. Meinst du, das hat nichts zu bedeuten? Du hast sie nicht gesehen, und auch sonst hat sie in den letzten drei Monaten niemand zu Gesicht bekommen.« Sie schenkte ihm ein unsicheres Lächeln. »Vielleicht waren wir nur ein Teil ihres Lebens, den sie nun hinter sich gelassen hat.«
Ein Muskelstrang in Saetans Wange begann zu zucken und in seinen Augen lag eine eigenartige Müdigkeit. Als er endlich etwas sagte, waren die Worte leise und giftig. »Mich hat sie nicht hinter sich gelassen. Ich bin ihr Anker, ihr
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