Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
blieb.
Der Hengst bog den Hals, hob den Schweif wie ein weißes Seidenbanner und tänzelte eine Minute lang um Jaenelle herum. Dann neigte er das Haupt und rieb die Schnauze an ihrer geöffneten Handfläche.
Während Saetan die beiden beobachtete, hoffte er, dass nichts dieses zauberhafte Bild eines Mädchens und eines Einhorns an einem klaren Sommermorgen stören würde.
Doch das Bild zerbarst, als Rauch über den Rasen lief.
Der Hengst stieß Jaenelle beiseite, legte die Ohren an und senkte sein tödliches Horn. Dann scharrte er mit den Vorderhufen auf dem Boden. Rauch kam rutschend zum Stehen und fletschte herausfordernd die Zähne.
Jaenelle griff in die Mähne des Einhorns, während sie mit der anderen Hand Rauch Einhalt gebot. Was immer sie den Tieren sagte, ließ die beiden zögern.
Schließlich machte Rauch behutsam einen Schritt vorwärts. Das Einhorn tat es ihm gleich. Schnauze berührte Schnauze.
Mit einem halb belustigten, halb entnervten Ausdruck stieg Jaenelle auf das Einhorn auf – und hatte alsbald sichtlich Schwierigkeiten, sitzen zu bleiben, als der Hengst losgaloppierte.
Ruckartig blieb das Tier wieder stehen und blickte sich zu ihr um.
Jaenelle strich sich durchs Haar und sagte etwas.
Der Hengst schüttelte den Kopf.
Sie schien mit mehr Nachdruck auf ihn einzureden.
Er schüttelte abermals das Haupt und stampfte mit dem Vorderhuf auf.
Mit ärgerlicher Miene griff sie mit beiden Händen in die lange weiße Mähne und setzte sich auf dem Rücken des Hengstes zurecht.
Der Hengst entfernte sich von der Burg. Als die beiden wieder umkehrten, wechselte er in einen leichten Kanter. Zu Beginn der zweiten Runde schloss Rauch sich ihnen an.
»Komm schon«, sagte Saetan.
Er und Andulvar eilten auf die Eingangshalle zu. Die meisten der Dienstboten standen an den Fenstern der beiden Salons, die sich rechts und links von der Halle befanden, während Beale durch einen Spalt in der Eingangstür lugte.
»Mach die Tür auf, Beale.«
Saetans Stimme ließ den Butler zusammenzucken, und er machte einen Satz von der Tür weg.
Der Höllenfürst übersah geflissentlich Beales Schwierigkeiten, seine gewohnt stoische Miene aufzusetzen, und trat ins Freie, nachdem er die Tür selbst schwungvoll geöffnet hatte. Andulvar hingegen verharrte im Schatten des Türrahmens.
Sie sah wunderschön aus mit ihrem vom Wind zerzausten Haar, während ihr Gesicht vor Glück strahlte, das tief aus ihrem Inneren kam. Jaenelle gehörte auf den Rücken eines Einhorns und ebenso gehörte der Wolf an ihre Seite. Er bedauerte,
dass sie über eine gepflegte Rasenfläche anstatt einer wilden Bergwiese galoppierten. Es war, als hätte er dem Mädchen die Flügel gestutzt, indem er sie hierher gebracht hatte – und er fragte sich, ob dem tatsächlich so war. Dann erblickte Jaenelle ihn, und der Hengst hielt auf die Tür zu.
Insgeheim sagte Saetan sich, dass er das dunklere Juwel trug, doch es gelang ihm trotzdem nicht, seine Nervosität zu unterdrücken. Ein Prinz des Blutes, selbst ein Wolf, akzeptierte Saetans Beziehung zu Jaenelle allein aus dem Grund, dass er der Höllenfürst und ein Kriegerprinz war. Ein anderer Kriegerprinz hingegen würde seinen Anspruch auf Jaenelle in Frage stellen, vor allem, wenn dieser sich mit seinen eigenen Ambitionen überkreuzte, bis die Lady ihn anerkannte.
Als der Höllenfürst die Treppe hinabstieg und auf die beiden zuging, konnte er die Herausforderung spüren, die von der anderen Seite ausging – er sollte den älteren Anspruch des Hengstes bestätigen. Ohne ein Wort zu verlieren, stellte er sich der Herausforderung, indem er sich so weit öffnete, dass der andere Kriegerprinz seine Kraft erahnen konnte. Den Anspruch, den das Einhorn auf Jaenelle erhob, bestritt er jedoch nicht.
Interessiert stellte der Hengst die Ohren auf.
»Papa, dies ist Prinz Kaetien«, sagte Jaenelle, wobei sie den Hals des Hengstes streichelte. »Er ist der erste Freund, den ich in Kaeleer gefunden habe.«
Oh ja. Es handelte sich um einen viel älteren Anspruch, den man nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte. In der Alten Sprache bedeutete Kaetien ›weißes Feuer‹, und Saetan zweifelte keine Sekunde daran, dass der Name zu diesem vierbeinigen Bruder passte.
»Kaetien«, stellte Jaenelle weiter vor, »dies ist der Höllenfürst, mein Vater.«
Der Hengst wich mit flach angelegten Ohren vor Saetan zurück.
»Nein, nein«, meinte Jaenelle rasch. »Er ist nicht der Vater, sondern mein Adoptiv vater. Er
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