Die schwarzen Juwelen 04 - Zwielicht
erkannte, und sie kommen und gehen konnten, wie es ihnen beliebte. Doch er hatte darauf bestanden, dass die Türen verschlossen blieben, wann immer er nicht zu Hause war. Besonders die Vordertür. Ebenso war er eisern dabei geblieben, dass sie niemand außer den Angehörigen seine Familie in den Horst lassen sollte, wenn er nicht da war.
Der Befehl hatte sie verblüfft, doch es war sein Zuhause und damit seine Angelegenheit. Während sie den Dienstbotengang entlang auf die Küche zueilte, dachte sie nicht länger über die Schlösser nach. All ihre Gedanken galten nun einem langen heißen Bad, um die heftigen Muskelschmerzen zu lindern. Diese Schmerzen und das heftige Zittern, das sie gelegentlich heimsuchte, bereiteten ihr manchmal Sorgen. Doch sie hatte Jaenelle nie etwas davon gesagt, wenn die Lady sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigte. Luthvian hatte sie gewarnt, dass das Entfernen der Flügel die einzige Möglichkeit sei, ihren Rücken ganz ausheilen zu lassen. Sie wollte ihre Flügel jedoch nicht verlieren, genauso wenig wie die Hoffnung, eines Tages vielleicht doch wieder fliegen zu können - obgleich sie so große Angst davor hatte, sich zum Krüppel zu machen, dass sie es niemals auch nur versuchte.
Sie verbannte diese Gedanken und konzentrierte sich auf die Vorfreude auf ein heißes Bad. Außerdem würde sie ein großes Stück Schmorbraten zu Abend essen, in ihrem Buch weiterlesen und sich früh schlafen legen, damit sie sich gleich bei Tagesanbruch wieder ihrem Garten widmen konnte.
Als sie durch den Türbogen in die Küche trat, war sie so sehr damit beschäftigt, nicht über ihre Flügel nachzudenken, dass sie atemlos aufkreischte, als jemand an der Eingangstür rüttelte.
Eine Hand gegen die Brust gepresst, starrte Marian zu der Tür, die zwei solide Riegel aufwies. Zusätzlich zu diesen
physischen Schlössern war die Tür noch mit einem schwarzgrauen Schloss versehen. Selbst wenn es einem »Besucher« also gelingen sollte, die Eingangstür zu zerstören, würde es ihm oder ihr nicht gelingen, den Horst zu betreten.
Das Rütteln verstummte. Stattdessen hämmerte jemand mit der Faust gegen das Holz.
*Tassle?*, rief Marian einen purpurnen mentalen Faden entlang.
*Marian!*
*Es ist jemand an der Eingangstür. Jemand, der sehr … hartnäckig ist.*
*Soll ich Prothvar rufen?*
Marian zögerte kurz, bevor sie antwortete: *Noch nicht.*
*Ich komme zurück zu unserer Höhle.*
Das war gut. Sie würde sich besser fühlen, sobald Tassle in Hörweite war.
Yaslana hatte ihr erzählt, dass sich sein Cousin Prothvar, dem sie bisher noch nicht begegnet war, auf der Burg aufhielt, solange er nicht da war, und sofort kommen würde, falls sie in irgendeiner Form Hilfe benötigen sollte. Es war gut zu wissen, dass ein Kriegerwolf und ein eyrischer Kämpfer auf einen Hilferuf zu ihrer Verteidigung herbeigeeilt kämen. Das ließ sie genug Mut schöpfen, um zur Tür zu gehen und die Riegel zu öffnen. Abgesehen davon war es schließlich möglich, dass es sich um Yaslanas Cousin handelte, der nur vorbeikam, um nach dem Rechten zu sehen. Es wäre unverschämt, ihm nicht die Tür aufzumachen.
Die Frau auf der anderen Seite der Schwelle war nicht Yaslanas Cousin. Sie war jung, eine Rhilanerin, eine Fremde, und sie trug …
Marian fielen keine höflichen Worte ein, um den Aufzug der anderen zu beschreiben.
»Wer bist du?«, wollte die Frau wissen.
»Ich bin die Haushälterin von Prinz Yaslana«, erwiderte Marian höflich.
Mit einem Blick auf Marians verschwitzte, dreckverschmierte Tunika und die Hosen meinte die Frau: »Oh«. Ihr Tonfall ließ
keinen Zweifel daran, dass sie Marian als unbedeutend abtat. »Ich möchte Lucivar sehen. Er erwartet mich.«
Nicht sehr wahrscheinlich, dachte Marian und trat ein wenig vor, um den Eingang zu versperren. »Prinz Yaslana ist nicht zu Hause.«
»Dann werde ich auf ihn warten.«
Die Frau machte einen Schritt auf den Eingang zu, doch Marian wich nicht von der Stelle.
»Das ist unmöglich.« Marian gab sich Mühe, weiterhin höflich zu klingen. »Er wird vielleicht erst sehr spät zurückkehren.«
»Er wird nichts dagegen haben, wenn ich es mir gemütlich mache«, erklärte die Frau mit Bestimmtheit.
Wo? Im Horst gab es nur drei möblierte Zimmer, und Marian ging nicht davon aus, dass diese Frau vorhatte, in der Küche zu sitzen.
Wahrscheinlich würde es leichter sein, zu sagen, dass es ihr nicht gestattet war, jemanden in den Horst zu lassen. Schließlich mussten
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