Die schwarzen Juwelen 04 - Zwielicht
Gefühle durchlief Saetan. Er vermied Lucivars Blick. Seine tiefe Stimme erklang als bloßes Flüstern: »Ich konnte nicht. Wegen Zuulaman.«
Saetans offensichtliche Pein verwunderte Lucivar. »Wer ist Zuulaman?«
»Kein Mensch. Ein Ort.« Saetan war schnell und hatte die Tür erreicht, bevor Lucivar sich ihm in den Weg stellen konnte. Doch der Höllenfürst zögerte, als er die Tür öffnete. »Wenn du mehr über Zuulaman erfahren möchtest, frag Andulvar. Auf gewisse Weise erinnert er sich besser als ich an die damaligen Geschehnisse.«
Dann war er fort, und Lucivar starrte lange Zeit die geschlossene Tür an. Er fragte sich, was an jenem Ort geschehen sein mochte, das den Höllenfürsten einfach so die Flucht ergreifen ließ.
Er traf Andulvar in der Nähe des kleinen Sees an, der zum Anwesen gehörte. Natürlich hätte er an die Tür zu Andulvars Privatgemächern hämmern können, doch der Hexensabbat
war zusammengetreten, um bei Karla zu sein, und er hatte das Gefühl, dass es besser war, wenn dieses Gespräch unter vier Augen stattfand. Also hatte er bis Sonnenuntergang gewartet, bis der Dämonenprinz wie gewöhnlich sein Taglager verließ, und war ihm bis zu dem See gefolgt.
»Zuulaman?«, knurrte Andulvar. »Warum im Namen der Hölle willst du etwas über Zuulaman erfahren?«
»Ich habe meinen Vater gefragt, warum er nicht darum gekämpft hat, Daemon und mich zurückzubekommen, als man uns ihm wegnahm. Er sagte, es sei wegen Zuulaman gewesen. Außerdem meinte er, du würdest mir erklären, was das bedeutet.« Lucivar wartete, während Andulvar auf den See hinausstarrte. »Erinnerst du dich daran?«
Andulvar stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Ja, ich erinnere mich an Zuulaman.« Er wandte den Kopf und musterte Lucivar lange. »Bist du dir sicher, dass du das hier hören willst?«
Nein. »Ja.«
Mit einem Seufzen starrte Andulvar wieder auf den See hinaus … und begann zu erzählen.
Zwei Stunden später kehrte Lucivar in Saetans Arbeitszimmer zurück und blieb in der Nähe der Tür stehen. Sein Vater befand sich vor den Bücherregalen, welche die Wand hinter seinem Schreibtisch füllten. Er hielt ein aufgeschlagenes Buch in den Händen. Ohne aufzublicken oder umzublättern stand er einfach nur da und kehrte seinem Sohn den Rücken zu.
»Er hat es dir erzählt.« Saetans Stimme klang völlig emotionslos.
Nervös und mit einem unguten Gefühl in der Magengrube, versuchte Lucivar ruhig zu sprechen. »Er hat es mir erzählt.«
»Jetzt weißt du es also.«
Etwas stimmt hier nicht, dachte Lucivar, während er seinen Vater betrachtete. Etwas an der Art, wie Saetan vor ihm stand, erinnerte ihn an einen spröden Gegenstand, der beim leisesten Windhauch zerbrechen könnte.
Er schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand durch das schwarze Haar. »Ich begreife nicht, wieso Dorothea uns am Leben ließ. Sobald ihr klar wurde, dass sie keinen von uns beiden zu Fortpflanzungszwecken benutzen konnte, hätte sie uns umbringen sollen, bevor wir alt genug wurden, um der Dunkelheit unser Opfer darzubringen und in den Besitz unserer vollen Kraft zu gelangen.«
»Sie konnte es nicht.« Saetan schlug das Buch zu und stellte es ins Regal zurück. »Bevor ich Terreille für immer verließ, schickte ich Dorothea eine Nachricht. Ich erklärte ihr, dass Hayll an dem Tag, an dem Daemon nicht mehr unter den Lebenden weilte, ein zweites Zuulaman werden würde. Die gleiche Botschaft, dich betreffend, schickte ich Prythian.«
Lucivar hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Er machte einen taumelnden Schritt, um sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. »Aber … das hast du nur so gesagt, nicht wahr? Du hättest es nicht getan.«
Endlich drehte Saetan sich um und sah ihn an. »Doch«, sagte er gefährlich sanft, »ich hätte es getan.«
Dies war nicht der Mann, den er die letzten drei Jahre über kennen gelernt hatte. Jetzt verstand er Andulvars Warnungen, vorsichtig zu sein, wenn er es mit dem Höllenfürsten zu tun hatte. Und doch …
Er hatte diesen Blick schon in den Augen eines anderen Mannes gesehen. Doch nicht in diesem Gesicht, nicht in diesen Augen. Das war der Unterschied zwischen ihm und Andulvar, Prothvar und Mephis. Sie kannten Daemon nicht. Sie hatten noch nie mit dem Sadisten getanzt.
Nun verstand er die spröde Zerbrechlichkeit. Saetan erwartete, dass er sich von ihm abwenden würde. Wie Andulvar es eine Zeit lang getan haben musste. Wie es seine anderen Söhne getan
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