Die schwarzen Juwelen 06 - Nacht
hatte andere Gepflogenheiten. Die Angehörigen des Blutes brauchten diese feinen Unterschiede, genauso wie sie andererseits die festen Grenzlinien brauchten.
Und er musste sich ins Gedächtnis rufen, dass die meisten anderen Königinnen nicht derart nachlässig gewesen
waren, selbst wenn sich die Königin dieses speziellen Distrikts nicht so gewissenhaft gezeigt hatte, wie sie in Zukunft würde sein müssen.
»Sylvia hat einmal Saetan mitgenommen«, sagte Jaenelle mit einem schelmischen Funkeln in den saphirblauen Augen.
Diese Vorstellung belustigte ihn, und das hatte Jaenelle gewusst. »Das muss ein aufregender Tag für die Verantwortlichen des Waisenhauses gewesen sein.«
»Soviel ich gehört habe.«
Er verrückte den anderen Stuhl, um nahe bei ihr sitzen zu können. »Hat unser junger Freund sonst noch etwas Interessantes von sich gegeben?«
Sie füllte das Weinglas und bot es ihm an. Er trank einen Schluck und reichte es ihr dann zurück.
»Jarvis Jenkell, ein berühmter Landenschriftsteller – so berühmt, dass sogar die Angehörigen des Blutes von ihm gehört haben dürften – hat die Schule früher häufig besucht. Wenn man Yuli aufmerksam zuhört, dann hat Jenkell ein oder mehr Kinder unterstützt, die in dem Haus gelebt haben, auch wenn nie klar gewesen ist, wen er unterstützte. Soweit ich das sehe, hat er nie behauptet, der Vater eines bestimmten Kindes zu sein. Er hat nur eine geistige Verbundenheit mit den Kindern für sich beansprucht, die an solch einem Ort groß werden.«
»Ich habe heute Abend herausgefunden, dass Jarvis Jenkell ein Angehöriger des Blutes ist.«
Eis und Schatten glitten durch die Tiefen ihrer Augen. Obwohl sich nichts an ihrem Äußeren änderte, bemerkte er den Unterschied – und wusste, wer jetzt zu ihm sprach.
»Ich verstehe«, sagte Hexe .
Als Landen würden Jenkell, falls er tatsächlich hinter diesem Spukhaus stecken sollte, im Lichte der Gesetze betrachtet, die für die Landen galten, und der Mann würde dementsprechend bestraft werden. Als Angehöriger des Blutes … Tja, für die Angehörigen des Blutes galten andere Regeln.
»Ein Mädchen namens Anax hat behauptet, Jenkell sei ihr
Vater«, sagte Hexe . »Aber sie hat von etlichen Männern behauptet, es seien ihre Väter. Deshalb war es schwierig zu beurteilen, ob sie die Wahrheit gesagt hat. Doch aufgrund der Beschreibung, die ich erhalten habe, ähnelt sie Yuli darin, dass der Großteil ihres Erbes nicht dhemlanischen Ursprungs ist.«
»Jenkell stammt ursprünglich aus Kleinterreille.«
»Anax und mehrere andere Kinder sind im Laufe der letzten Wochen aus dem Waisenhaus ›weggelaufen‹.«
Er wandte den Kopf in Richtung des Hauses, obwohl er es durch die Kutschenwand nicht sehen konnte. »Vielleicht sind sie nicht weit gelaufen.« Er dachte über das eben Gehörte nach und fand immer mehr Gründe, seiner Wut freien Lauf zu lassen. »Hast du etwas über die Zauber herausgefunden, die das Haus umgeben?«
»Die Schwarzen Witwen sind stark und ziemlich begabt gewesen. Und sie haben damit gerechnet, dass jemand versuchen würde, ihre Netze zu zerreißen.«
»Wir können also nicht von außen dagegen vorgehen.«
»Nicht, wenn wir möchten, dass Surreal und Rainier auch weiterhin unter den Lebenden weilen. Ich bin immer noch dabei, nach einem Weg zu suchen, um den Fallenzauber zu umgehen, ohne die Todeszauber auszulösen.«
Er griff nach Jaenelles Hand und küsste ihre Handfläche.
Unter den Angehörigen des Blutes gab es kein Gesetz, das Mord verbot. Doch das bedeutete nicht, dass keine Rechenschaft gefordert wurde, wenn er erforderlich war. Während Daemon auf dem schwarzen Wind zu dem Dorf zurückgereist war, hatte er sämtliche Dinge aufgelistet, die er über das Spukhaus herausgefunden hatte, und was getan worden sein musste, um solch ein Haus zu erschaffen. Deshalb war ihm klar, was nötig sein würde, um die Blutschuld zu entrichten, die ihm als dem Kriegerprinzen von Dhemlan und den Menschen, die ohne guten Grund ums Leben gekommen waren, geschuldet wurde.
Da Jaenelle ihm gesagt hatte, sie würden eine Kutsche benötigen, in der mehrere Menschen Platz hatten, hatten sie
diejenige mitgenommen, die groß genug war, um als fliegende, zweistöckige Wohnung durchzugehen.
»Ich habe einiges zu erledigen.« Er küsste ihre Hand ein letztes Mal und erhob sich. »Ich werde im oberen Schlafzimmer arbeiten, damit ich weder dich noch den Jungen störe.« Das war nicht der wahre Grund, doch es handelte sich
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