Die schwarzen Juwelen 06 - Nacht
erst später schläft, oder ihn einfach ins Bett bringen und akzeptieren, dass der morgige Tag sehr, sehr früh beginnen wird?«
»Bist du in der Verfassung, mit ihm fertig zu werden?«
»Nein.« Es klang wie ein Stöhnen. »Außerdem muss ich zum Bergfried fliegen und mit dem Höllenfürsten sprechen.«
»Dann lass ihn uns zu Bett bringen. Ich habe in der Taverne vorbeigeschaut und habe uns Abendbrot mitgebracht. Wir können essen, wenn du zurückkommst.«
Lucivar verlagerte Daemonar und erhob sich. »Schön.« Als sie den Türrahmen erreichten, blieb er stehen.
»Was?«, erkundigte sich Marian.
Lucivar starrte ins Leere. »Keine Ahnung. Bloß … Es ist ein ereignisreicher Nachmittag gewesen, und ich habe das Gefühl, dass ich etwas vergessen habe.«
Lucivar betrat den kleinen Salon im Bergfried und schätzte binnen weniger Sekunden die Situation ein. Die Vorhänge waren zugezogen. Ein loderndes Feuer brannte im Kamin, und reichlich Holz lag in dem kupfernen Korb. Alles war behaglich für eine kalte, verregnete Nacht hergerichtet. Sein Vater trug einen wollenen Morgenrock über Hemd und Hose und Haus- anstatt von Straßenschuhen. Sein Haar war sauber,
sah aber aus, als sei es nicht mit einer Bürste, sondern mit den Fingern gekämmt worden.
Nicht ungepflegt, entschied er. Lediglich bequem.
»Ich habe keinen Besuch erwartet«, sagte Saetan trocken.
Lucivar zuckte mit den Schultern und beäugte dann das Buch in Saetans Schoß. »Wird Marian dieses Buch lesen wollen?«
»Wahrscheinlich.«
»Pfff.«
Das Geräusch brachte Saetan zum Lächeln, als er das Buch zuklappte und auf einen Tisch neben ein Tablett legte, auf dem sich eine Karaffe mit Yarbarah, eine Karaffe Brandy und zwei Rabenglasbecher befanden. »Wenn du mit einer Frau zusammenleben möchtest, musst du auf den Strömungen ihrer Launen reiten, mein Junge.«
Lucivar hob einen hölzernen Stuhl hoch, der an der Wand stand und brachte ihn dorthin, wo Saetan saß. Dann setzte er sich rittlings darauf, die Arme auf die Rückenlehne gestützt. »Wir haben mittlerweile einen Code. Wenn Marian vermutet, dass die Geschichte sie zum Weinen bringen wird, legt sie einen polierten Stein auf den Tisch neben ihren Sessel. Wenn ich den Stein sehe, soll ich sie weinen lassen, ohne mich groß um sie zu kümmern.«
»Du erträgst es sicher nicht, im Zimmer zu bleiben, wenn das passiert, oder?«
»Nein.«
Eine lange Pause entstand. Dann sagte Saetan: »Was beschäftigt dich, Lucivar?«
Er erzählte Saetan von Daemonar und dem Wolfsjungen – und sah Wachsamkeit in den Augen seines Vaters auflodern.
»Ich kann mich nicht an dich erinnern«, sagte Lucivar, der das Gefühl hatte, vorsichtig sein zu müssen. »Ich kann mich nicht an die frühen Jahre erinnern, in denen du da gewesen bist. Daemon kann sich an etwas mehr erinnern, glaube ich, und wenn er mir von etwas erzählt, kann ich manchmal die restlichen Lücken füllen, wie bei einer Geschichte, die ich
vor langer Zeit gehört habe.« Er hielt inne. »Ich kann mich nicht an dich erinnern, aber ich erinnere mich an dieses Geräusch. Obwohl ich es gewesen bin, der es heute Nachmittag ausgestoßen hat, und es nicht das Gleiche gewesen ist, nicht wirklich jedenfalls, habe ich die Erinnerung an jenes Geräusch gespürt, das gegen meine Haut drückte und auf meinen Knochen lastete. Es ist mehr als das gewöhnliche Gebrüll, das einen Jungen davon abhalten soll, eine Dummheit zu begehen.«
Keine Antwort. Nur ein heftiger – und sichtbarer – Versuch, nicht die Selbstbeherrschung zu verlieren.
»Komm schon«, sagte Lucivar. »Du hast uns schon etliche Geschichten aus der Zeit erzählt, als Daemon und ich noch klein waren.«
Immer noch keine Antwort. Dann fragte Saetan eine Spur zu sanft: »Und diese Geschichte musst du unbedingt auch noch in Erfahrung bringen?«
Oh, die Formulierung gefiel ihm ganz und gar nicht, und er konnte die Warnung heraushören, aber er nickte trotzdem. »Ja. Ich muss.«
Saetan drehte den Kopf zur Seite und starrte ins Feuer. Lucivar wartete.
»Schon als kleiner Junge bist du ein ausgezeichneter Krieger gewesen«, sagte Saetan, den Blick immer noch auf das Feuer gerichtet. »Andulvar sagte, du seiest der Beste, den er je zu Gesicht bekommen hätte, und wenn du heranwachsen und die zu deinen Instinkten passende körperliche Kraft haben würdest, könntest du alles überwinden, das sich dir in den Weg stellt.«
Das war ein großes Kompliment, zumal es vom Dämonenprinzen kam. Doch es gab
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