Die schwarzen Raender der Glut
und Berndorf stieg aus, zusammen mit zwei vom Alter und der Arbeit krummen Bäuerinnen und einem Menschen, der in einer Lederjacke steckte und die dick besohlten Schuhe eines gelernten Pflastertreters trug.
Weil bis zum vereinbarten Besuchstermin noch Zeit ist, hat sich Berndorf zu Fuß auf den Weg zur Justizvollzugsanstalt gemacht und ist nun auf dem kopfsteingepflasterten und vormittäglich leeren Marktplatz angelangt. Er schlendert zum westlichen Torturm und kommt an einer Wirtschaft vorbei, die Zum Specht heißt und leider so aussieht, als sei sie vom Requisiteur des Tegernseer Bauerntheaters renoviert worden. Berndorf bleibt einen Augenblick stehen und lässt einen Mann an sich vorbei, wie der Zufall oder sonst wer will, ist es der Pflastertreter in der Lederjacke, den er schon am Bahnhof gesehen hat und der nun seinerseits kurz zögert, dann aber doch raschen Schrittes übers Pflaster zum Specht strebt . . . Berndorf überlegt einen Augenblick, ob er ihm folgen und sich ein Weizen bringen lassen soll und ein Paar Weißwürste dazu, ein Gespräch wird sich dann schon ergeben unter den frühen Gästen.
Aber dies ist jetzt nicht die Zeit und nicht der Anlass, weist er sich zurecht. Er erinnert sich, dass er weiter oben am Marktplatz einen Taxistand gesehen hat, und so dreht er um und geht dorthin zurück. Schließlich muss er an sein Bein denken, noch immer kann er es nicht voll belasten und die JVA liegt doch etwas außerhalb der Stadt, an der Dachauer Straße, wie sich das so ergeben hat.
Birgit lässt die Hefte einsammeln. Aufgesetzt hat sie das kleine Ihr-werdet-schon-sehen-Lächeln, denn anmerken lässt sie sich nichts, niemals. Ihr Blick gleitet über die Klasse. Beiläufig registriert sie, dass Bettinas Haar heute stumpf und glanzlos aussieht, überdies steckt sie in Jeans, die sie sich bei ihren Hüften nun wirklich nicht antun sollte. Juckt dich der Pilz, Kleines. . .? Die Hefte werden neben Birgit auf den Tisch gestapelt, sie wirft noch einen Blick in die Runde, Donatus lächelt selbstgefällig, Phan gibt den Blick zurück mit der höflichen Aufmerksamkeit eines Zirkushundes, der auf das Kommando für das nächste Kunststück wartet, Bettina betrachtet – wie immer – ihre farblos lackierten Nägel, wann tut sie das eigentlich nicht, überlegt Birgit und greift sich eines der Hefte, schlägt es auf und liest den Schlusssatz:
Desormais on a vu Mathilde Loisel demeurant sur l’escalier de Sacre Cœur, une vieille mendiante, qui murmurait des phrases incompréhensibles et obscures, et quelques années plus tard on l’a nommée la folle de Montmartre . . .
»Donatus«, sagt Birgit, »was bitte soll das: die Irre vom Montmartre . . .?«
»Na ja«, sagt Donatus, »ganz einfach. Die Mathilde erzählt ihrer reichen Freundin Forestier, wie sie den Schmuck ersetzt hat, und dann sagt die Forestier, das ist ja ganz schrecklich, aber es kann nicht sein, was du da erzählst, liebe Mathilde, das hätte mir ja auffallen müssen, niemals wäre es mir entgangen, wenn das ein echtes Collier gewesen wäre, völlig ausgeschlossen, dass ich mich da geirrt hätte, an den Steinen und ihrem Leuchten siehst du es auf einen Blick, und die Mathilde kriegt das Zittern und Heulen und bettelt, sie solle doch in ihrer Schmuckkassette nachsehen und sich überzeugen, und da wird die Madame Forestier ganz kühl und abweisend und sagt: Du – den Schmuck haben wir nicht mehr, den haben wir unserem Curé geschenkt, als der eine Tombola für den Bau von Sacre Cœur veranstaltet hat, stell dir vor, irgendeine Frau aus der Provinz hat doch tatsächlich 300 oder 400 Francs für das billige Ding bezahlt, es war ja nur Talmi . . . Und Mathilde
Loisel geistert seither wahnsinnig und bettelnd über die Stufen von Sacré Cœur.«
Donatus lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. Thorsten kichert. »Und die Forestier hat das Collier längst zur Seite geschafft und versilbert, wie?« Donatus zuckt mit den Schultern. »Vielleicht hat sie einen jungen Liebhaber, den sie damit aushält«, schlägt Bettina vor. »Die Forestier ist da ja auch schon nicht mehr jung . . .« Ein lammfrommer Augenaufschlag trifft, wie zufällig, auf Birgit.
Nur ein paar Jahre noch, denkt Birgit, ein paar flüchtige Jahre, Kleines, und du wirst selbst wissen, wie das ist mit den jungen knackigen Männern, die sich nicht mehr nach dir umdrehen. . . Betrug, Kleines, ist das, was die Welt am Laufen hält, der junge Liebhaber betrügt die
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