Die schwarzen Raender der Glut
also«, fährt Grassl dann fort, »habe ich insbesondere auf dem lange vernachlässigten Gebiet der hochsprachlichen Kultur- und Wirtschaftsbeziehungen des Elsass gearbeitet . . .«
Hochsprachliche Wirtschaftsbeziehungen? Sehr gut. Sehr unauffällig.
». . . ein sehr interessantes Forschungsgebiet, wie ich Ihnen versichern darf, auch im Hinblick auf das Wirken der deutschen Geldwirtschaft nach 1940, einem unter den gegebenen und gewiss nicht leichten Umständen sehr verdienstvollen Wirken, wie ich hinzufügen darf . . .«
Das Wirken der deutschen Geldwirtschaft ein verdienstvolles zu nennen, denkt Grassl, kann nie falsch sein.
». . . einem Wirken, das ich nun gerne in einer Monografie für eine weitere Öffentlichkeit aufbereiten möchte, wozu ich freilich Ihre Unterstützung bräuchte, insbesondere, was die Nutzung Ihres Archivs anbetrifft . . .«
»Aber wo denken Sie hin!« In dem Schreibtischbesitzer kommt erstmals Leben auf. »Wir können einem Außenstehenden doch nicht so ohne weiteres Zugang zu unseren internen Archiven gewähren!«
»Das wäre sehr bedauerlich, wenn Sie es nicht tun«, gibt Grassl zurück. »Meine Darstellung über das Auftreten Ihrer Bank im okkupierten Elsass und die Übernahme fremder Vermögenswerte müsste sich dann ausschließlich auf andere Berichte und Quellen stützen, bei denen es allerdings sehr gut möglich ist, dass sie auf die weniger gewinnenden Aspekte dieses Auftretens abstellen werden, insonderlich, wenn es sich um Vermögen jüdischer Provenienz handeln sollte . . .«
Grassl macht eine kurze Pause. »Ja«, sagt er dann und steht auf, »so ist das nun mal. Tut mir Leid, dass ich Ihre und meine Zeit vergeude. Ich werde in meiner Monografie natürlich festhalten müssen, dass Ihr Haus Einblick in die Unterlagen aus jener Zeit verweigert hat. Ich wünsche einen guten Tag!« Er wendet sich zur Tür. »Einen Augenblick«, kommt es von dem schwarzgläsernen Schreibtisch.
Grassl dreht sich um und bleibt stehen. »Ich will den hier verantwortlichen Herren der Vorstandsetage nicht vorgreifen. Aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass Ihre Forschungsarbeit auch für uns von Interesse ist, als . . .« – er zögert,
bis er das richtige Wort gefunden hat – ». . . als Beitrag zur Aufarbeitung unserer eigenen Firmengeschichte . . . Schließlich ist es die Philosophie unseres Hauses, die Vergangenheit nicht auszugrenzen . . .«
Grassl entscheidet sich, wieder Platz zu nehmen.
»Welchen zeitlichen und finanziellen Rahmen stellen Sie sich für Ihre Arbeit denn vor?«
Vorstellen können wir uns viel, denkt Grassl. »Das kommt darauf an«, sagt er, »ob diese Monografie das Wirken Ihres Hauses fokussieren soll, oder das der deutschen Geldwirtschaft insgesamt . . .«
»Ich bin sicher, dass wir eine Arbeit über unser Haus vorziehen würden. Wenn wir auch andere Institute einbeziehen wollten, könnte es von diesen oder deren Rechtsnachfolgern – äh – missverstanden werden.«
Grassl nickt verständnisvoll. Auch recht. Je mehr Tamariskensträucher, desto mehr kleine Schnecken für den schlauen kleinen Fenek.
»Es ist nur so, dass ich darüber erst mit den Herren in den oberen Etagen sprechen muss, Sie verstehen. Aber vielleicht kann ich Ihnen morgen bereits einen ersten Bescheid geben.«
Wieder nickt Grassl höflich. Du legst mich nicht herein. »Sicher können Sie das nicht von jetzt auf gleich entscheiden. Das kann ich gut verstehen. Nur – ich muss meine Dispositionen treffen. Sie sind, wenn ich offen sprechen darf, nicht mein einziger Verhandlungspartner. Ich wäre Ihnen schon sehr zu Dank verbunden, wenn Sie ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit mir etwas konkreter dokumentieren könnten. . .«
Eine halbe Stunde später verlässt Grassl den blau schimmernden himmelspiegelnden Doppelturm, in der Brieftasche einen Barscheck über 10 000 Mark – schließlich hat ein Geschäftsmann seine Unkosten, wenn er länger in Frankfurt verhandeln muss. Vor einer Telefonzelle bleibt er stehen, zögert. Nein, entscheidet er dann. Die Zeit der Anrufe aus stinkenden Telefonzellen ist vorbei. Als Erstes wird er sich ein Handy kaufen.
Immerhin gibt es viel zu telefonieren. Frankfurt ist schließlich die Stadt der Banken.
Hubert Höge eilt, die Tasche in der Hand, vom Musiksaal zum Lehrerzimmer. Was ein merkwürdiger Tag, denkt er. Birgit krank, er macht ihr ein Frühstück, sie will es nicht, dann kommt er fast zu spät, weil es wieder einen Stau auf der
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