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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Kirchenmonat über die Brücke ging.«
    »Galt es einmal als Verbrechen, eine Brücke zu überqueren?«
    Marco lachte. »Das ist aus einem Kinderreim. Tiepolo war ein Verschwörer; die Dieci wurden gegründet, um seine Anhänger zu verurteilen, aber dann hat man sie nie wieder aufgelöst. Ich habe gehört, consigliere Falier hat diese Aufführung auf seine Kosten organisiert.«
    Leonardo Falier hatte die Menge auf dem campo mittlerweile vollkommen im Griff. Er ließ einen Schauspieler nach dem anderen heraufkommen und steuerte jedes Mal den Applaus der Zuschauer. Als das Mädchen auf die Bühne kletterte, das den verunglückten Engel dargestellt hatte, nun wieder züchtig bekleidet, ertönten die ersten Bravo! -Rufe, und selbst als man den noch halb betäubten Obstverkäufer unter der Bühne hervorzog, brach das Publikum in Hochrufe aus. Falier stand voller Bescheidenheit zwischen seinen Leibwächtern und klatschte den Gauklern ebenso heftig zu wie die Zuschauer, während seine beiden Begleiter jedem der Schauspieler einen kleinen Beutel überreichten.
    Der Zehnerrat war ein schlanker Mann mit blasser Gesichtsfarbe, langen Gliedern und ausdrucksstarken Gesten. Er trug sein fast schwarzes Haar halblang, sodass die leichte Brise es zerzausen konnte. Sein Lächeln war breit und grub tiefe Falten in sein schmales Gesicht. Er hatte ein auffälliges Mal auf einer Wange, das er sich nicht zu überdecken bemühte, eine lange Nase und tief liegende Augen. Die Leibwächter, die um einen Kopf größer waren als er und muskulöser und breitschultriger, wirkten neben ihm wie bloße Randfiguren, und die Schauspieler, sosehr der Zehnerrat und die Zuschauer ihnen auch applaudierten, schienen unbedeutender Pöbel in seiner Gegenwart. Ich schüttelte den Kopf, als mir die beklemmende Präsenz des Mannes zu Bewusstsein kam.
    »Warum spreizt er sich so wie ein Pfau?«
    »Man hört, er möchte gern zum Vorsitzenden des Rats gewählt werden.«
    »Wann sind die Wahlen?«
    »Irgendwann in den nächsten Tagen, was weiß ich«, erklärte Marco mit jugendlichem Desinteresse.
    »Falier betreibt also Wahlkampf. Weshalb hat er es nicht gleich auf die Dogenkappe abgesehen?«
    Marco machte ein verständnisloses Gesicht. »Weil er die Zügel in der Hand halten will, statt gelenkt zu werden.«
    Jana packte meinen Arm, und ich wandte mich ihr zu, um ihr Marcos Worte weiterzugeben. Ich sah erschrocken, wie bleich sie war. Die Schatten unter ihren Augen hatten sich wieder vertieft.
    »Ich habe mich wohl überschätzt«, ächzte sie und lehnte sich an mich.
    »Sind die Schmerzen wieder da?«
    »Im ganzen Unterleib.« Sie biss sich auf die Lippe.
    Ich legte ihr den Arm um die Schultern. Ihr Körper war verkrampft und zitterte unter einer zweiten Schmerzwelle.
    »Wie lange schon?«
    »Hat eben angefangen. Ach, Peter …«
    Ich riss Marco Manfridus grober herum, als nötig gewesen wäre. Der Junge starrte mich erschreckt an, dann fiel sein Blick auf Jana, und er verstand.
    »Wir müssen schnell hier raus«, rief ich.
    Marco wandte den Kopf hilflos hin und her. Die Zuschauermenge begann sich aufzulösen, aber bei weitem nicht schnell genug.
    »Das dauert, bis wir hier herauskommen«, sagte er unglücklich. »Und dann ist es ein weiter Fußmarsch bis zur Herberge.«
    Ich sah Jana in die Augen; unnötig ihr Kopfschütteln, um mir klar zu machen, dass sie den Rückweg nicht schaffen würde. In ihren Augen standen Tränen. Ich stieß einen Mann zurück, der ihr zu nahe kam, und er fuhr herum, um sich mit mir anzulegen. Er sah von mir zu Jana und zu mir zurück und hob die Hände, als wollte er sein Bedauern anzeigen.
    »Wir nehmen ein Boot.«
    Wir standen im Westen des campo ; Marco deutete zu einer engen Gasse, die in den Hof eines Palastes hineinzuführen schien. »Dort geht es zum Rio di San Polo. Ich kenne die Stelle; die Transportboote für die Ca’ Cornèr landen dort an. Wir finden bestimmt irgendjemanden, der uns mitnimmt.«
    Ich nickte ihm zu, und der Junge begann mit vielen Entschuldigungen, Platz für uns zu schaffen. Jana stützte sich auf mich, bis ich sie halb trug. Die Menschen wichen nur widerwillig beiseite. Schließlich griff ich mit der anderen Hand zu und hob Jana vollends auf meine Arme. Der Anblick erschreckte einige der Nächststehenden, Finger deuteten auf uns, und nun wurde uns Platz gemacht. In einer Stadt, die vom Seehandel lebt, ist die Angst vor ansteckenden Krankheiten nur allzu präsent. Marco bahnte uns den Weg aus der Menge

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