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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Bilderfriesen verbindet, die ein Taucher vor einer Küste entdeckt oder ein Archäologenpinsel im staunenswerten Schutt. Fragmente einer doch kaum vor einem Augenblick versunkenen Antike, Wandbilder, wie sie im Stammsitz von Villeroy & Boch auf der Leipziger Straße, später VEB Sanitärporzellan, dann Duravit, ihrer Abwicklung geharrt hatten; im Speisehaus des VEB Strömungsmaschinenbau Pirna (ehemals eine Triebwerkfabrik für die DDR-Luftfahrtindustrie) unter dem Titel »Die Entwicklung des Flugwesens« existierten, schön chronologisch Montgolfières, Doppeldecker, der Gleiter Lilienthals von den Lichttütenarmen eines Kronleuchters verteilt, der Saal mit schwarzen Säulen und gelben Kacheln, durchlässig bis zur von Serpenten und Lindwürmern bewohnten, mit den Alchimistenfluren der Tierarzneischule und den Zahnpastaküchen verwachsenen Mohrenapotheke am Pirnaischen Platz – und überhaupt, diese Wandfriese von Dresden. Wie wenig hat das scheinbar zu tun mit der wohlhabenden Stadt unter den wie Klüver gefüllten Standarten des Kaufhauses Renner (zerstört, zweimal enteignet) am Altmarkt, Blick auf die pathosgefleckte Germania, Zeugin der Leichenverbrennungen in den Tagen nach dem Bombardement, mit den »einflußreichen Familien«, zu Staub entrückt und gleichzeitig mit der Sepia der Vorzeit imprägniert: Odol-Lingner, auf dessen Mundwasserflaschen mit dem unverwechselbar seitab gebogenen Hals ein Schloß in den Elbhängen errichtet wurde, in dem es einen Privatzoo und, im Festsaal, eine Jehmlich-Orgel nebst eingebautem Spezialtelefon zum Mithören für Freunde gab; Mäusegift-Ilgen, eitel genug, einen Luxussarg gut sichtbar im Entree seiner Blasewitzer Villa aufzupflanzen, Sport-Sponsor en gros und Stifter der Ilgen-Kampfbahn, später Rudolf-Harbig-Stadion und Dynamo-Heimstätte, von vier Flutlicht-Giraffen erhellt; die Bankiersfamilien Arnhold (der Dresden das Arnholdbad verdankt, Emigration), Kaskel, Gutmann (Begründer der Dresdner Bank, Fritz und Luise Gutmann: Deportation), Kap-herr: sie alle gehörten zu den zigarrebewehrten, ungeduldig auf eine Taschenuhr von Lange & Söhne blickenden Unternehmern, wagemutigen, vomStresemanncut gestreiften und beim Trappeln der Hofequipagen aufhorchenden Selfmademen, die die »besseren Kreise« des Vorkriegsdresden bestimmten und Gegenstand teils ehrfürchtig-anekdotengewürzter, teils zurückhaltend-abfälliger Gespräche waren, Gespräche, die die alten Dresdner über ihr im Fastnachtsphosphor verbranntes Atlantis führten, das für mich, den aufmerksam Lauschenden, zur Wohnstatt des ein wenig unglaubhaften, immer weiter beschmückten, in Orienttabakduft und Schokolade gekleideten Riesen Vergangenheit wurde. All diese Männer, sage ich mir, waren nie Verächter des plots, aber sie kannten die Bedenklichkeit einer nur vorwärtsgerichteten Handlung. Was bedeutete ihnen die Stadt, die sie erst hoben, jedenfalls aus der finanziellen Elbe, deren Undinen die Ruderblöcke allzu fest umarmen? Das wimmelnde, zahllose Leben, das man mit dem Bild der Großstadt verbindet, bekommt an der Fabrikstraße seine Gußform, erst hier glaube ich, daß Dresden eine Großstadt ist; das Ein und Aus von Nahrung, des gehaltvollen Fleischs der in den bulldoggenhaften, sprachlos niedrigen Baracken Erlweins im Schlachthof Ostragehege in die Tötungsmaschinen geratenen »lebendigen Lieferanten«, mag den Tag um ein Büro getaktet haben, das in einer so visionären wie anmaßenden Aussicht aufs Gute die Eingebung erwog, die gesamte Fleischfabrik mitten aus der Routine zum Schwimmen zu schicken. Diese Form von Macht ist die der großen Stadt, wenngleich »das« Dorf in der Ausübung des Todes noch gleichgültiger und unbeeindruckter sein kann. Eine ganze Welt, für die sich die 89er Revolution als Zeitbruch erwiesen hat, scheint sich aus der täuschend bukolischen, mit Große-Ferien-Robinsonaden gepufferten Weißeritz zu erheben, ein Schatten, der nach seiner verlorenen Wirklichkeit tastet, aus der ihn immer noch Reste von Nabelblut ernähren, weil alles, was ist, Verbindung hält zum Zwilling hinter der Membran, die die Uhrenzeiger ständig spannen, weil jede Farbe ein schwarzweißes Geschwister hat, das manchmal anziehender ist. Fabrikstraße, ausgeglüht wie eine Porzellanscherbe, westernhaft öde und vom Aschblau des Julihimmels bedeckt, das der von Wänden gefaßten Schlucht etwas von der grellen Elektrizität römischer Tierhetzen verleiht, von mechanisiertem, zu Traurigkeit nicht

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