Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
pflichtbewußt, sauber; erschütternd wie der banale Umstand, daß wir und unsere Nachbarn gleichzeitig in den Abend gelangen – all diese Bilder sind Satelliten im Sternbild meiner Stadt, das pulsiert und nicht zur Ruhe kommt, durchkreuzt von den Kohlezügen, die in die Vorwärmhalle des Kraftwerks Nossener, damals Brücke der Jugend, fuhren, im Winter, wenn die im Kohlebahnhof verladenen Brocken in den Waggons festgebacken waren und aufgetaut werden mußten; bedrängt von den Erinnerungen an die Geschmackssensationen von Haselbauer-Eis und den Tablettengeruch frisch gespitzter Blacksun-Bleistifte aus der ČSSR, von den Seelenwintern und Grotesken, die der Leipziger Fotograf Erasmus Schröter festhielt: Ein Lama, das in einen Ballsaal geschafft werden soll, Vorstadtkneipen, in uferlosem Dunkel wartende Menschen, Schiffsschaukeln, die Tristesse der Rummelbuden. – Zurück an den Gebäuden der Technischen Universität vorbei, der Bibliothek am Zelleschen Weg; Massen gelber Jalousien, die auf den Fenstern wie Zitronenfalter hocken.
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Der Strom von Bewegungen, der einsetzt, wenn ich die Leipziger Straße, für mich eine der bilderreichsten von Dresden, in Richtung Radebeul hinuntergehe mit dem Schlenderschritt derjenigen, die nichts zu erledigen haben, was auf dieser Straße, die für den Alltag gemacht scheint, merkwürdig wirken muß, anders als der rasche, ausgreifende Schritt meines Vaters, wenn er mit meinem Bruder und mir ins »Goldene Lamm« zum Puppenspiel oder ins Sachsenbad zum Schwimmen ging; Bewegungen von Menschen, die, so schien mir, die schäbigen, in den Pfützen zwischen abgekippten Gehwegplatten gespiegelten Häuser nur widerwillig verlassen hatten – Besorgungen, Einkäufe, Termine – und sich auf der Straße in die gleichmäßige Eile, die nur wenige aufmerksam macht, des Werktags fügten, ein graues, hin und wieder, wenn Entgegenkommenden auszuweichen war, komprimiertes, dann mit der chiffonzarten Plötzlichkeit eines Fischschwarms, der die Richtung ändert, sich lockerndes Fließen, Puls und Gegenpuls, gedehnte und wieder zusammengezogene Spindeln, deren Dichte ein geheimnisvoller, von der Straße selbst, als wäre sie ein Lebewesen, erzeugter Wechsel zwischen Druck und Sog zu bestimmen schien.
Blick auf die Gleisanlagen des Neustädter Bahnhofs, dahinter der Turm der Dreikönigskirche, links Industriebrachen mit punktueller Befüllung: »Umzugslifte« und, in einem hangarhaften Schuppen, »Angel-Spezi«, gegenüber die Gebäude der Menarini / von Heyden-Pharmafabrik, früher Arzneimittelwerk. Durchstiche zwischen rücksichtslos aufeinanderprallenden Fassaden (Gründerzeit-Wucht gegen Bilanzprüferstil), der Blick von einer Uhr mit Reichsbahn-Ziffernblatt gebremst; hinter dem frisch gestrichenen Schornstein, aus dem die Medikamentenstäube gen Himmel rauchten, um die Psycho- und Herzbeschwerden gedemütigter Engel zu lindern, taucht ein Barockfragment auf, unvermutet, schockhaft, als bestünde nur eine lose Vereinbarung, daß der Canaletto-Archipel mit seinen Lieferanten zusammenhänge, als gehörten die Leipziger Vorstadt und mehr noch Pieschen, Mickten, Übigau als periphere Organe zu einem anderen Mutterkörper. Grasland, in Versteppung begriffen, geräumtes Heerlager, auf dem sich eine Nachhut aus Provisorien und Obdachlosen eingerichtet hat, wo die Anstrengung, Stadt zu sein, in die Stammesfeuer zurückrutscht, die mit Unkraut und kaputten Autoreifen genährt werden. Die Elbe verliert die eher illustrierende Funktion, die sie, als Dekor-Canal-Grande, vor der Brühlschen Terrasse hat; hier ist sie kein Begleiter, sondern dringt tief ins Gewebe des Viertels ein, wird Lieferfluß für die Grumbtschen Holzbetriebe, speist die Waschanstalten, die in meiner Einbildung auf den Brachen dämmern, Nachbilder einer nicht allzu fernen Vergangenheit, durchdringt die Flugversuche, Kellerwände, Kleider, spült die Schiefertafeln, wird Brauchwasser für die Schaufelräder, die an den Industrie-Kreuzern der Kaiserepoche für Vortrieb zu sorgen scheinen – immer wieder erstaunt mich die schiere Menge an solchen Produktionskasernen, die Dresden in eine von Schloten durchbohrte, qualmbewölkte, von Werkssirenen akustisch sektorierte Aktiengesellschaft umbauten. Die Elbe gibt und nimmt die Uferzone, nagt hier ein Stück ab, trägt dort ein paar Klumpen zu, wird mit Ziegeln gebändigt, schleppt im Krieg die Leichen stromab und läßt sich im Frieden von den Ruderern, die sich vom Pieschener Hafen
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