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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Gesichter zurück, wurde aus einem Schenkelhalsbruch wieder eine Verletzung; um einen Lokalbefund mit eingeschraubtem Fixateur wuchs eine Hand mit ihren persönlichen Linien, ein Arm, ein Mensch, der sie auf seine Art bewegte. Die Stimmen kehrten zurück, flüsternd wie die Linien auf den Zeichnungen Dottores, der hier als Kinderarzt gearbeitet hatte. Mein Chef, Dr. Dieter Paul, der mit Dottore alias Dr. Wolfgang Lehmann befreundet war, hatte mir phantastische Aufrisse von Kathedralen gezeigt, später lernte ich die Köpfe der »Galerie der Nervenbündel« kennen, skurril und verletzt starrten sie vom Papier, Wundenwesen, der Durchsichtigkeit und ihren Geistern zugehörig, wie Dottore sie aus den Strichen von Lumbalpunktionskanülen und mit Tusche gefüllten Spritzen zog. Ich suchte den Brunnen. Es schien mir angemessen, daß ein Stück Antike hier aufgetaucht war; ich glaubte, daß die Elbe sich mit Tiber und Nil, in den unzugänglichen Zonen vorzeittief unter den Verzeichnissen der Geographie, zu einem Golf der gewesenen Stimmen vereinigte, einer siebenarmigen Styx. Flußgötter standen auf den Postamenten, die ausladenden, für andere Verhältnisse gemeinten Gesten brachen an den Zweckbauten ab; keine gemeinsame Sprache. Neptun, an seiner Seite Amphitrite, der von zwei wasserspeienden Hippokampen gezogene Muschelwagen, Vasen, Bassins, die nachmittags die stille Teestunde der Bäume über ihnen mit Bewegung versehen, Reliefs mit ägyptischen und römischen Landschaften – fremd steht der Brunnen hier, im Halbschlaf, in einer vergessenen Bucht der Historie gestrandet. Er hatte alles überlebt. Ich sah die Melancholie, das Wasser, das ihn hervorbringt und bezwingt, das unerklärliche Hinübergehn, Erneuerung.
    Ostra-Allee: Fahre ich mit der 11 in die Stadt, steige ich gern An der Herzogin Garten aus, einer Brache, über der eine zerbrochene Tempelstirn das Wort Orangerie wie die Abdankung festlicherer Epochen trägt. Ich mag es, dem Lärm des Postplatzes ein Schnippchen zu schlagen, indem ich zu Fuß gehe und mich, begleitet von den Platanen der Zwingerseite und dem Festungsschatten des Schauspielhauses, derIllusion hingeben kann, dem Einkaufsgedränge des Zentrums ausweichen zu können. Diese Vorstellung wärmt sich im Malergäßchen, das nur einen Hauseingang hat und als Schneise zwischen Schauspielhaus und einem ehemaligen Sitz der Dresdner Bank (in dem Anfang der Neunziger ein Friedrichstädter Anästhesist erschossen wurde) auf die Ostra-Allee weist; eine meiner Vorzugsideen scheint dort möglich zu sein, die direkte Durchquerung städtischer oberer Stockwerke, der Gehirne (wie man manche Regenwaldhabitate über Strickleitern und Stege in den Vogel-Etagen begehen kann); das Privileg, vom Arbeitszimmer mit eigenem Schlüssel in ein täglich mit Schminke und Krokodilstränen beköstigtes Haus schlendern zu können, bewerkstelligt durch eine Hängesänfte, wie sie Dresden (zwischen Schloß und Hofkirche) und Venedig (die Seufzerbrücke zwischen Dogenpalast und Bleikammern) gemeinsam schultern. An der Mündung der Ostra-Allee kollidiert das Geschäftsdresden des Postplatzes, der Wilsdruffer Straße (bestürzend matte Benennung einer Magistrale!) mit dem Theaterdresden, dessen Bühnen sich zu einem Barock-Riff alliiert haben, das sein Sandsteingebiß gegen die Zumutungen der Gegenwart bleckt, die sich in Form von Achselzucken und Architektur aus knurrendem Beton heranpirscht. Doch diesen Eindruck zu vermitteln, ist Teil des Programms – gut möglich, daß die Museums-Union, aus größerer Höhe betrachtet, magenförmig ist, daß die Erker Zähne eines Zahnrads, die Zwingerteiche am Grund mit Mühlsteinen versehen sind: eine überraschende Umgruppierung des Sichtbaren wie bei den Mustern der Nazca-Indianer in Peru, die Maria Reiche erkundete, oder Getreidekreisen, die erst einem Flugzeugpassagier ihr kilometerweites Geschichtsbuch öffnen. Hinter der Verschanzung, deren erste Linie im Zwinger die Putten besetzen, beginnt die Arbeit einer beutehungrigen Suchmaschine, durchrasselt von Aufzugsketten und Perpendikeln, die wie ein geheimbündlerischer Krake, in der Nachtbeleuchtung Clausen Dahls bedient von der Bruderschaft der dresdenfürchtigen Souffleure, ihre Gegenkreuzzüge plant, tief unter dem Nympenbad, diesem Geysir aus Locken, abgeschottet gegen ungebetene Gäste, immun gegen die Bemühungen der Netzbehörde; eine Kongregation marketingbewußter Hacker und Zeremonienmeister barocker Zapfprogramme, die nach

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