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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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bedenklichstes die vermutlich unbemerkt in Kauf genommene, subtil beleidigende, aus dem Zentralmythos allerdingszu schlußfolgernde Suggestion enthält, daß Leben und Streben der Nachgeborenen oder Fremden, betrachtet man’s genau, kaum zählen, jedenfalls unbedingt verblassen vor den Hinterlassenschaften, sichtbaren und unsichtbaren, früherer Generationen. Doch Anpassung ist in Dresden ebenso ein Thema wie Renitenz, wobei die Grenzen fließend sind und eins nicht selten in der Geschichte des anderen steht. Die heutige Stadt gäbe es nicht ohne die Widersetzlichkeit (Hans Nadler, Fritz Löffler), die den Zwinger aufzubauen half, gegen die Beseitigung der Sophienkirche und der Großen Meißner Gasse protestierte, die Abräumung der Schloßruine zu verhindern wußte, den Wiederaufbau der Semperoper und, nach 1989, den der Frauenkirche durchzusetzen fertigbrachte (Karl-Ludwig Hoch, Ludwig Güttler, Eberhard Burger, Kurt und Ingrid Biedenkopf) – gegen innere und äußere Widerstände. Zur Dresdner Unbotmäßigkeit gehört die alternative Kunstszene, die sich früh von kulturell-politischen Leitbildern verabschiedete; man hielt sich nicht an verordnete Maßgaben und trug die Folgen. Eine davon: die sonderbare, für Dresden charakteristische Allianz zwischen bürgerlicher und alternativer Kulturausübung: Oppositionelle Künstler traten im Kulturbund oder der gediegenen Pirckheimer-Gesellschaft auf, die von Rudolf Mayer geleitete bibliophile Eikon-Presse druckte Avantgardegrafik, Werner Schmidt, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen, bis 1989 Direktor des Kupferstichkabinetts, kaufte, soweit es ihm möglich war, nach Qualität und nicht nach Gesinnung, Erhard Frommhold, streitbarer und im Marxismus-Leninismus wie wenige beschlagener Sozialist, führte den Verlag der Kunst, gemaßregelt und scheel angesehen von manchem Funktionär, zu internationalem Ruf. Trotz aller Zerstörung (vielleicht gerade deswegen) war Dresden ein Biotop der Ästheten. Hier blühten Orchideen wie der Lichtdruck (eine von drei weltweit noch existierenden Werkstätten befindet sich, geleitet von Edelgard Sachadae, in der Spenerstraße), der »gute Druck« überhaupt (Elly Schreiter, die Obergrabenpresse), der Scherenschnitt (es war nicht ungewöhnlich, seine Kinder auf diese Weise porträtieren zu lassen), das Schattentheater (Fritz Gay), Rahmen- und Passepartoutfertigung (Atelier Arlt auf der Bautzner Straße), Trick- und Silhouettenfilm, eine Filmkultur, an die ich mit dem Titel eines Puppentrickfilms von Johannes Hempel denken muß: »Als es noch Wassermänner gab«: Gottfried Stejskal und sein Wachwitz-Meißner »Filmkollektiv«, Ernst Hirsch mit seinen Beiträgen für die Sendereihe »Kostbarkeiten aus Dresdner Sammlungen«, der Filmklub »Camera«, in dem meine Freunde und ich, allesamt Cineasten, Meisterwerke aus den Anfängen von Nordisk Film bis zur Nouvelle Vague und aktuellen Produktionen aus Japan oder der off-Szene von Polen sehen konnten, begleitet von exzellenten Programmheften und ebensolchen Einführungsvorträgen. Der Sinn für Schönheit. Ich denke darüber nach, warum die Gruppe der 20, die sich am 8. Oktober 1989, zu Beginn der friedlichen Revolution, auf der Prager Straße gründete, eben Gruppe der 20 und nicht Gruppe der Hunderttausend heißt.
    Zwinger, morgens: Rauch über den Teichen. Das Porzellan ist noch nicht reif. Die Glocken hoffen.
    Porzellansammlung: »In Dresden ist nichts unmäßig außer der Vorstellung von Dresden«, schrieb Herr Löwe in einem seiner Stadtbriefe, »und das stört mich. Der Fernsehturm scheint die Ausnahme zu sein. Mitten ins Elbhanggrün gepflanzt, ein Sektkelch aus Beton (zur heiteren, mit einem Faustschlag auf den Tisch begonnenen Familienfeier), leistet er sich die souveräne Ignoranz gegenüber all den Traufhöhen, Angemessenheiten, dem guten Geschmack, die mir imponiert und die, zur Belebung des gesellschaftlichen Blutflusses, ihre kleine, bösartig wirkende, tatsächlich aber wie ein Tritt in den Hintern eines Faulpelzes erfrischende und anregende Aufgabe hat.«
    Semperoper, die Uraufführungen: Im August 2002 traten Elbe und Weißeritz über die Ufer. Adolzaide ruderte mit einem Schlauchboot in die Oper, um zu helfen. Musiker, Touristen, die zufällig vor Ort waren, Hausangestellte, Bürokräfte, Freiwillige schufteten bis zur Erschöpfung gegen die Flut. Das Wasser brach in die Keller. Noten, kostbare Bücher, das Fotoarchiv trieben umher, Adolzaide watete durch ihre

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