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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Nahrung tasten,flüssig gemachte Rohstoffe in ihre Schatzlogistik speisen, Festplatten mit updates einer Sonderform des Stoffwechsels füllen: der römischen Verdauung. Von Generation zu Generation wird das Programm überschrieben: alles in sich hineinzuschlingen, die Brotkrumen der Gegenwart ebenso wie die Bankette der Vergangenheit, um das Geschluckte als seine eigene Historie wieder hervorzumahlen, jede Partikel im Moment der Entstehung schon registriert, katalogisiert, Bestandteil der Großen Ausstellung, die von den Lebenden für einen Besucher kuratiert wird, dem die Ewigkeit gehört.
    Semperoper, die Bratschisten: stimmten ihre Instrumente. Viola, ein Name wie »Theumaer Fruchtschiefer«; Instrument der Schwermut und Versponnenheit, etwas für Hausmusik in Venedig an Herbstabenden, wenn die Wasser der Lagune mit der Piazza um das Inventar streiten, etwas für den beklommenen Frost, die herbe Wärme von Brittens Kammermusik, für den letzten Satz des 3. Streichquartetts. Die Bratschisten trugen ihre Fräcke sorgfältig, prüften den Sitz der Fliege im Spiegel neben dem Ausgang des Probenraums. Bratschisten müssen viel zählen, sagt das Vorurteil, und machen die Kontrabässe »rum«, so machen die Bratschen »tata«. Sie sind oft feinsinnige und kultivierte Menschen (was man nicht von allen Musikern sagen kann); keineswegs immer die resignierten, anti-expressionistisch veranlagten Charaktere, die in den bekannten Witzen herumspuken, doch gab es einige, die, ohne sich dessen immer bewußt zu sein, eine tiefe Verwandtschaft mit den Denkmalpflegern verband. Niklas fühlte sich zu den Bratschisten hingezogen, er liebte die Oper, bewunderte das unsterbliche Feuer dieser alten und hemmungslos verschwenderischen Kunst, und er wußte, was für ein Glück es war, in einer Stadt zu leben, die dieser Kunst soviel Achtung entgegenbrachte, ja, selbst aus einer ergreifenden, versteinerten Musik zu bestehen schien. Er ließ die Augen über die mit Kandelabern bestückten, hufeisenförmigen Ränge schweifen, wenn er sitzen blieb, den Kopf gesenkt und die Finger mit irgend etwas beschäftigt, bis das Publikum – nur Adolzaide würde außer Niklas noch warten – gegangen war. Die Bratschisten warfen ihnen vorsichtige Blicke zu: Die beiden kannten alle Partituren des Spielplans, die Fingersätze der Konzertmeister und die Striche der Dirigenten; Adolzaide, die als Häftling viele Jahre lang aus schwarzer Pappe Maikäferbeine gestanzt hatte für die Dresdner Schokoladenproduktion, würde mit der Anrede »Meine geliebte Kapelle!« noch in der Nacht einen Brief schreiben.
    Residenzschloß, Tibor von Urvasi: Er stammte aus einer italienischen Familie, die reich gewesen war seit den Zeiten »Inzucht treibender Päpste«, wie er sagte, und noch reicher geworden war unter Mussolini. »Aber ich bin in die DDR gegangen. Sie wissen immer noch nicht, ob sie mir das nicht verzeihen dürfen. Sie kommen mit dieser Mauer nicht zurecht und mit den zwei deutschen Staaten. Sie sehen sie wie Nord- und Süditalien.« Was er tat oder getan hatte, wußte niemand genau. Er unterstützte unbotmäßige Künstler und engagierte sich bei der Denkmalpflege. Angeblich war er Konsul in Konstantinopel gewesen. Die Kommunale Wohnungsverwaltung hatte ihm zugesetzt, aber es war ihm gelungen, sich mit allen Mietern anzufreunden, selbst mit einer Frau, von der er ahnte, daß sie ihn bespitzelte. Als er seine Akte gelesen hatte, sagte er: »Du weißt nun soviel über mich, daß wir eigentlich heiraten könnten. Keine Ehefrau kennt ihren Mann so gut, und das ist doch eigentlich Liebe.« Manchmal trug er noch den dunkelblauen Kapitänsmantel, der ein wenig zu eng war, weil ein Schneider aus dem VEB Herrenmode der Versuchung nicht hatte widerstehen können, vom herrlichen und reichlich bemessenen italienischen Stoff etwas für den eigenen Bedarf zu nutzen. Urvasi schätzte Dresden, und auch, wenn er eine spitze Zunge führte, »um am Lack zu lecken, ich möchte gern wissen, ob die Schwärmerei wasserlöslich ist«, schwieg er lange und nachdenklich, bevor er äußerte: »Idealisieren Sie die Dresdner nicht. Viele sind erstaunlich nüchtern und leben ihr Leben durchaus prosaisch; man neigt dazu, die Schönheit ihrer Stadt für ihre eigene zu halten, und dabei haben sie bloß Glück mit der Landschaft.« Er liebte London und England: »Sehen Sie, dieser Isherwood ist doch großartig. Da schreibt er in ›Löwen und Schatten‹, daß er nie, solange er lebe, einen von

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