Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)
Schließlich ließ ich die Hoffnung auf erlösenden Schlaf fahren, stand früh auf, und Birdie fand mich auf dem Steg.
»Guten Morgen«, flüsterte ich, weil ich die Ruhe der Natur, der Luft und des Morgens nicht stören wollte.
»Wie wäre es mit Frühstück?«, fragte sie.
»Sehr gut«, sagte ich und zeigte auf die Bucht. »Du hast so ein Glück, mit all dem aufzuwachen.« Das war eine Feststellung.
»Es ist ein Segen. Jetzt verstehst du, warum ich fort bin aus Atlanta, wie?«
»Völlig.«
Zusammen gingen wir zum Haus zurück, durch den Hof und das Gartentor, und ich musste daran denken, dass die Mutter, die ich kannte, niemals ihr geliebtes Atlanta verlassen hätte. Die Frau im Tagebuch dagegen schon.
Früher einmal hatte Mutter Vertrauen in die Liebe gehabt, ich aber kannte eine Frau, die mir gesagt hatte, Hutch O’Brien komme aus keinem guten Stall, er sei nicht der richtige Mann für mich. Sie hatte mich gefragt, warum ich mein Leben mit einem Mann aus einer armen,kaputten Südstaatenfamilie verbringen wolle, wenn ich doch etwas viel Besseres haben könne.
Ich glaube, dass Worte in eine Seele eindringen und sie verändern können, bis sie nicht mehr ihre ursprüngliche Form hat. Wie oft kann eine Mutter ihrer Tochter sagen, was gut für sie ist und was nicht, ohne dass die Tochter ihr glaubt? Aber woher kommen diese Worte und Überzeugungen eigentlich – wo liegt ihr Ursprung?
Es hatte eine Zeit gegeben, in der meine Mutter nicht an richtige und falsche Liebe glaubte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie nur an die Liebe glaubte. Und als sie den Glauben daran verloren hatte, gab sie diesen Verlust an mich und mein Leben weiter.
Und vielleicht hatte sie ja recht gehabt – vielleicht war Hutch nicht der »Richtige« für mich gewesen.
Birdie und ich saßen am Küchentisch, sie hatte einen Teller mit Rührei und Würstchen vor mich hingestellt. Schweigend sahen wir den Meisen zu, die die Körner im Vogelhäuschen vor dem Fenster aufpickten. Ich wartete.
Sie lächelte mir zu. »Es hat nicht gereicht, wie?«
»Nein«, sagte ich. »Ich will nicht meine Nase in deine Lebensgeschichte stecken. Ich möchte nur wissen, was du über Mutter weißt. Das ist alles. Warum sind sie nicht wieder zusammengekommen? Was hat sie sonst noch für die Menschenrechtsbewegung getan?«
Birdie sah mich an. »Nach dem Sommer 1961 wurde es ruhiger. Alle kehrten in ihr normales Leben zurück – aufs College und zu den Familien und in die Wirklichkeit. Der Sommer erschien uns allen wie ein Traum, nur deiner Mutter nicht. Ich wusste damals nicht, dass sie nach Hause zurückkehrte und plante, wie sie wieder zu ihm kommen konnte. Als ich ihr … von seinen Abenteuernerzählte, stieg sie ins Auto und fuhr zu ihm. Ich habe nie herausgefunden, was an dem Tag passiert ist, aber als sie wieder da war, hatte sie sich verändert.«
»Ich weiß, was passiert ist«, sagte ich.
Birdie sah mich mit großen Augen an.
»Sie hat ihn wegen seines Verrats zur Rede gestellt, und er hat alles zugegeben, aber ihr gesagt, dass das alles passiert wäre, bevor er wusste, dass er sie liebt. Er hat seine Gefühle offenbart, aber ihr dann gesagt, dass er fortgehen würde … und sie gebeten, auf ihn zu warten. Dann hat sie aus Schmerz oder gebrochenem Herzen oder Wut – wie immer man es nennen will – mit Dad geschlafen.«
»Das hatte ich mir ungefähr gedacht – aber weißt du, er hatte sich schon für das Friedenskorps verpflichtet. Er war fertig mit dem College, etwas älter als wir, und wollte noch keinen Job annehmen. Er konnte sich nicht vorstellen, jeden Tag im Anzug ins Büro zu gehen, er meinte, das würde seine Seele töten. Also ging er fort.«
»Das war sein Verrat? Darin hat sie seinen Verrat gesehen?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Dieser Junge … Er liebte mehr Frauen als nur deine Mutter. Sie hat nichts davon gemerkt, sie wusste oder sah nicht, dass er …« Birdie verstummte und schloss die Augen. »Dass er – wie deine Generation es ausdrücken würde – herumvögelte. Sie dachte, sie wäre die Einzige. Als sie es von mir erfuhr, war sie am Boden zerstört.«
»Du hast es ihr gesagt?«
»Ja …« Birdie stieß einen langen Seufzer aus, als ob das Wort aus mehr als nur zwei Buchstaben bestehen würde. »Ellie, bitte hör auf. Das ist wirklich genug. Deine Mutter liebte einen Mann, der sie auch liebte. Er hat sie verratenund sie dann gebeten, auf ihn zu warten, und das hat sie nicht getan. Sie hat sich einen
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