Die Schwerelosen
Drogen. Dakota und ich hatten es uns in seinem Ledersessel bequem gemacht und verfolgten die Heldentaten des Blonden, der gerade die Welt vor einer biologischen Bombe rettete. Der Glatzkopf bot uns einen Martini an, den wir unter der Bedingung annahmen, dass wir die ganze Serie fertigsehen könnten. Er hielt uns einen Vortrag über den episodischen Charakter von Serien und deren Bezug zur Struktur des Don Quijote. Er war ein intelligenter, aber verschwurbelter Mann. Owen hätte gesagt, dass er mit Orthografiefehlern spreche. Er bot uns kolumbianisches Kokain an und knipste uns fünfhundert Mal mit einer Digitalkamera, während der Blonde drei Muslime mit nur einer Hand folterte.
Als die Folgen zu Ende waren, graute schon der Morgen. Dakota und der Glatzkopf waren ins Bett übergesiedelt. Ichbin schnell abgehauen. Auf der Straße kaufte ich mir einen Kaffee, kaufte die Zeitung und lief Richtung Metro – morgens war ich mit White verabredet.
Dakota blieb bei dem Glatzkopf, so wie sie bei Moby geblieben war und bei allen anderen, die ich übrig hatte. Sie war wie eine Heuschrecke; und ich wie der Dreck, der sich am Meeresgrund sammelt.
Auf dem Heimweg in der Metro sah ich Owen zum letzten Mal. Ich glaube, er hat mir mit der Hand zugewinkt. Aber er ging mich nichts mehr an, ich verspürte keine Begeisterung mehr. Das Gespenst, das hatte ich kapiert, war ich.
*
Ich vermute, der Unterschied zwischen Jugend und Alter besteht in dem Grad von Frivolität, mit der wir mit dem Tod umgehen. In meiner Jugend war meine Verachtung für das Leben so groß, dass ich immer opulentere Tode herausforderte. Das Beschissene ist, dass ich mir jetzt, wo ich einfach nur lebendig sein will, einen langsamen, langweiligen und demütigenden Tod zugezogen habe. Meine Tode in Manhattan waren schnell und kamen von außen: Eine Subway zermalmte meine Schädelknochen; ein Schwarzer rammte mir am Ausgang einer Bar ein Messer in den Bauch; mein Blinddarm brach um Mitternacht durch; ich ließ mich vom letzten Stockwerks eines Gebäudes im Finanzdistrikt auf die Straße fallen. Der Tod in Philadelphia hingegen nähert sich mir wie eine graue Katze, reibt sich den Hintern an meiner Wade,leckt mir die Hände, kratzt mich ins Gesicht, bettelt um Fressen; und ich gebe ihr zu fressen.
*
Ich habe mit Pajarote gefrühstückt. Ich habe ihm von Dakota und dem kleinen Glatzkopf erzählt. Ich habe ihm von White und von Owen erzählt.
Stell dir eine Reihe von Männern vor, sagte er. Der erste ist ganz behaart und der letzte völlig kahl. Der jeweils in der Reihe Folgende hat ein Haar weniger als sein Vorgänger. Dann scheinen die folgenden drei Aussagen wahr zu sein:
1. Der erste Mann der Reihe ist nicht kahl.
2. Wenn ein Mann nicht kahl ist, macht ein Haar weniger ihn nicht zum Glatzkopf.
3. Der letzte Mann der Reihe ist kahl.
Und was soll das?, erwiderte ich.
Das ist das Sorites-Paradoxon.
Wie?
Das Paradoxon besteht darin, dass selbst wenn die drei Aussagen wahr zu sein scheinen, sie doch zusammen einen Widerspruch implizieren.
Und was soll ich damit anfangen?
Nichts, es verstehen.
*
Am nächsten Tag redete ich mit White. Es war der Tag des Interviews. Ich ging früh in den Verlag, schleppte den Holzstuhl an, den ich vor fast einem Jahr geklaut hatte. Wir hatten ausgemacht, uns ein paar Stunden früher zu treffen, um die Einzelheiten unserer Geschichte noch einmal durchzugehen, angefangen bei jenem Brief mit den Angaben zu Owens ehemaliger Wohnung bis zu den Notizen und Übersetzungen von Zvorsky. White war aufgeregt wie ein Kind, so hatte ich ihn noch nie gesehen. Es kam mir auch so vor, als sei der Schatten, der sein Gesicht seit Monaten oder Jahren verdüsterte, gewichen. Er wollte dem Reporter die Episode aus der Bar erzählen, wo ich halluziniert hatte, dass Owen die Erdnüsse aß, die Pound herumwarf. Als White das sagte, bremste ich ihn brüsk.
Alles ist gelogen.
Was?
Ich habe das Manuskript geschrieben, das wir publiziert haben, ich habe Owens Gedichte übersetzt, nicht Zvorsky.
Wie bitte? Heißt das, du willst den Lorbeer davontragen?, fragte er, als wolle er nicht verstehen.
Nein, ich sage dir, alles ist gelogen. Wahrscheinlich hat Owen Zvorsky nicht einmal gekannt. Die Übersetzung stammt von mir.
Whites Oberlippe zitterte ein wenig, er schwieg. Dann legte er beide Hände an die Stirn und bat mich zu gehen. Er sagte: Du verschwindest jetzt besser.
*
Merke: Owen verließ Detroit ein paar Tage nach dem schwarzen Dienstag, mit
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