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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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der Bestaussehende und auch nicht derjenige, der am meisten Glück bei den Frauen hatte. Zugleich aber hatte ich die heimliche Hoffnung, oder besser: die heimliche Gewissheit, dass ich mich eines Tages schließlichin mich selbst verwandeln würde: in das Bild, das ich über Jahre von mir entworfen hatte. Wenn ich aber jetzt die Notizen oder Gedichte, die ich damals schrieb, wieder lese oder mich an die Gespräche mit den anderen jungen Leuten meiner Generation erinnere und an die Ideen, die wir mit so viel Kühnheit vertraten, dann bemerke ich, dass ich wohl eher immer trotteliger geworden bin. Zu viele Jahre schon schlafe ich, döse vor mich hin. Ich kann mir nicht erklären, in welchem Moment sich der Prozess umkehrte, den ich mir linear und aufsteigend vorgestellt hatte, der sich nun am Ende aber als eine Art erbarmungsloser Bumerang herausstellt, der zurücksaust, deine Zähne trifft, deine Begeisterung und deine Eier.
    *
    Das mittlere Kind fragt:
    Weißt du, was unter diesem Haus ist?
    Was denn?
    Schnäbelchen.
    Schnäbel?
    Ja, Schnäbelchen.
    Und was noch?
    Und Pünktchen, etwa 56 Pünktchen.
    Und auf dem Haus drauf?
    Oben drauf liegt ein schlafender Mann.
    *
    Wenn ich in fremden Betten schlief, schlief ich tief und stand sehr früh am nächsten Morgen auf. Ich zog mich rasch an, klaute irgendwas – vor allem Handtücher, die gut rochen, oder weiße T-Shirts – und ging gut gelaunt raus auf die Straße. Ich kaufte einen Coffee to go und eine Zeitung, setzte mich an einen sehr belebten öffentlichen Ort ins volle Tageslicht und las. Was ich beim Schlafen in fremden Betten am meisten genoss, war genau dies: früh aufwachen, schnell abhauen, eine ordentliche Zeitung kaufen und in der Sonne lesen.
    *
    Mein Mann geht hinter mir vorbei, während ich schreibe. Er massiert mir – zu fest – die Schultern und liest, was auf dem Bildschirm steht.
    Sagt er das, oder bist du das?
    Er.
    Und mit wie viel Männern hast du damals geschlafen?
    Nur mit vier – oder vielleicht waren es fünf.
    Und jetzt?
    Mit dir. Und du?
    *
    Merke: (Owen an Villarutía) Ich bin nicht verliebt. Sie ist Schwedin. Ich habe sie als Jungfrau gehabt, eine empfehlenswerte mystische Erfahrung. Sie hat eine kalte Glut. Sie wirft sich auf mich wie die Hindufrauen auf den Scheiterhaufen, wo die Leiche des königlichen Gatten brennt.Und da sie vor mir aufsteht, weiß ich nie sicher, ob ich nicht mit einer Schneefrau geschlafen habe, die inzwischen geschmolzen ist.
    *
    Das Problem mit den Criollos, und in größerem Maße noch mit den Criollas, ist, dass sie davon überzeugt sind, ein besseres Leben zu verdienen, als sie es haben. Der Latino allgemein ist davon überzeugt, dass er unter der Schädeldecke einen Diamanten trägt, den irgendjemand entdecken, schleifen und auf ein rotes Kissen legen muss, damit alle anderen darüber staunen, in Ehrfurcht erstarren, merken, was sie die ganze Zeit lang verpasst haben.
    *
    Ich habe mich drei Nächte und vier Tage in der Wohnung des kleinen Glatzkopfs versteckt, ich weiß nicht recht, vor was oder wem. In der ersten Nacht bekam er keinen hoch. Am zweiten Tag verschwand er, bevor ich aufwachte, und kam zum Schlafen nicht zurück. Ich rief Pajarote an, um zu hören, wie es ihm mit der Dekanin Fani ergangen war, aber er ging nicht ans Telefon. Als mir klar wurde, dass der Wohnungsbesitzer auch an diesem Abend nicht zurückkommen würde, rief ich Dakota an und lud sie für die Nacht ein. Sie kam gegen zehn, und wir haben
Pet Sematary
gesehen, projiziert auf eine weiße Wand, riesig. Wir haben Dosen mit Surimi zu Abend gegessen, und wir haben zusammen in einer Badewanne gebadet, auf der lauter kleine Abziehbildchen mit Karikaturenaus den Neunzigerjahren klebten: da war Ursula, die Krakenfrau, die Hyäne aus dem
Löwenkönig
, Aladin, eine der dicken Feen aus Dornröschen und ein philosophischer Schlumpf. Dakota sang alle ihr bekannten Fragmente der entsprechenden Lieder. Ich half mit dem Chor nach, soweit ich konnte. Als wir aufgeweicht aus der Wanne kamen, trockneten wir uns mit riesigen Handtüchern ab, die das mit Goldfäden eingestickte Monogramm des Glatzkopfes trugen, und Dakota bat mich darum, ihr den Rücken einzukremen. Wir salbten uns und schalteten eine Fernsehserie ein, deren Held ein blonder Schönling war, der unablässig die Welt rettete.
    Am dritten Tag kam der Glatzkopf zurück, stark wie ein Stier, er hatte ein Kistchen mit Ölfarben dabei, ein Sortiment an Alkoholika, Präservativen und harten

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