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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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ist nichts passiert, aber sie sind sicher, dass er eines Tages wieder austreibt. Der Topf steht vor ihrer Haustür. Die Nachbarn, neue Christen, fragen nach der verdorrten Pflanze. Essind Menschen, die Erklärungen fordern und Gardenien haben. Das erzählen sie mir, wenn wir telefonieren: Es sind neue Christen, sie haben Gardenien auf der Veranda.
    *
    Der Mittlere singt der Kleinen etwas vor, und gemeinsam stellen sie eine Choreografie her, die Klatschen und koordinierte Armbewegungen einschließt: Das Haus verkommt, die Sachen liegen rum, Papa flucht, Mama weint … Du lieber Gott!
    *
    Ich weiß nicht, was ich mit den drei Katzen anfangen soll, die sich anscheinend endgültig hier niederlassen wollen. Vor ein paar Tagen habe ich ihnen nachts ein Schälchen Whisky hingestellt und gedacht, dass sie dann vielleicht auf mich als Herrchen und heiligen Patron ihrer drei elenden kleinen Leben verzichten würden, doch die Geste muss sie gerührt haben, denn am Tag drauf lagen die drei an verschiedenen Stellen meiner Matratze, und um Schlag sechs kamen sie, um mir den Schlaf aus den Augen zu lecken.
    *
    Dakota wollte mir eine Abschiedsfeier organisieren. Wir beschlossen, eine Party in der leeren Wohnung zu machen. Ihr Exfreund kam und ein paar rotierende Mitglieder der Clique. Pajarote erschien mit Fani. Wir hatten weder Bobby noch White eingeladen. Der kleine Glatzkopf kam mit seiner Exfrau– eine etwas dämliche kreolische Mexikanerin, die für ein Masterstudium an der NYU bezahlt hatte, um dann als Spanischlehrerin an einer Highschool in Brooklyn zu enden. Und diese brachte ihre neue Liebe mit, ebenfalls Mexikanerin, die immer wieder Joaquín Sabina zitierte. Und das war alles.
    Der Exfreund von Dakota fragte mich in der Küche, warum ich einfach so verschwände, von einem Tag auf den anderen. Ich sagte ihm, ich sei zum Gespenst geworden; womöglich sei ich aber auch die einzige Lebendige in einer Stadt der Gespenster; ich hätte jedenfalls keine Lust, immer mal wieder zu sterben. Er streichelte meine Stirn. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Spontane Gesten lähmen mich. Vielleicht hätte ich sein Gesicht berühren, die nackte Narbe lecken können, die ihm das Gesicht in zwei mögliche Gesichter spaltete. Vielleicht hätte ich mit ihm in der eingemaurten Badewanne vögeln können. Vielleicht habe ich mit ihm gevögelt.
    *
    Das Ende ist unwichtig. Mein Mann ist in eine andere Stadt gezogen. Sagen wir mal, nach Philadelphia. Vielleicht hat er zu sich selbst gefunden. Oder ist zur Hölle gefahren. Er ist aus der Haustür gegangen mit nur einem Koffer und einer Aktentasche voller verschiedener Versionen seines Drehbuchs, und danach haben wir nichts mehr von ihm gehört. Sagen wir mal, er hat andere Frauen getroffen: Gelegenheitsmulattinnen, eine Japanerin, expansionshungrige Amigirls, die ihr Gewissenerleichtern, indem sie mit Dritte-Welt-Intellektuellen schlafen, und vielleicht sogar kleine kreolische Mexikanerinnen, für die das Leben ein Kompendium der Lieder von Joaquín Sabina ist.
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    In jenem Apartment gab es weder Kinder noch Gespenster oder Kakerlaken. Es war im siebten Stock. Es gab nur eine eingemauerte Badewanne.
    *
    In jener anderen Stadt wohnte ich ein paar Straßen von Federico entfernt, doch die Schwuchtel verbrachte den ganzen Tag in einem Studentenheim am Broadway 2960 und schrieb dort ihre Verse. Manchmal traf ich ihn auf dem Weg zur Metrostation, dann reichten wir uns die Hand. Ein kleiner Spanier, gut im Futter und bestbehütet, klagte er virtuos über sein Bohèmeleben in der Stadt: Tauben und Münzenschwärme, ewige Baustellen, sich erbrechende Menschenmengen, Entfremdung, Einsamkeit. Das Problem mit Federicos Gedichten war, dass sie alle am Ende affederiziert klangen. Der
españolet
(so nannte ihn Salvador Novo) schwelgte in seinen seltsamen Metapherchen: Er verwandelte sie in Einbahnstraßen, in Systeme mit einer einzigen Äquivalenz. Er liebte Harlem und die Schwarzen, sprach kein Englisch. Seine Eltern schickten ihm monatlich hundert Dollar, die er in den Bars der Stadt verprasste. Mir gefielen die Schwedinnen und die Amigirls, und ich lernte denlieben langen Tag lang Englisch; ich mochte die Partys à la Henry James, mit lauter grundsätzlichen Ariern – Franzosen, Deutschen oder Engländern –, mochte deren Charakter einer stummen Rasse, »senkrechte« Leute, wie James zu sagen pflegte.
    Einmal schrieb ich Javier Villarrutia einen Brief etwa dieses Inhalts, aber er hat den Witz nicht

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