Die Schwerelosen
Vergangenheit von einer Handvoll Sprachen, das Englische hingegen war der uneheliche Sohn, der sich immer an seinen verspäteten Funden erfreuen würde, die da sind: die demiurgische Funktion der Artikel, die Erfindung der Welt durch ihre Benennung. Die Einzigen, die sich lohnen, sind Eliot und Joyce, sagte ich. Auch Williams und Dickinson. Federico mochte Langston Hughes, und er hatte gerade die Mulattin Nella Larsen entdeckt. Unser Freund Z war ein
dog
und ein
lolly-pop.
Von analytischen und synthetischen Sprachen hatten wir keine Ahnung.
*
Glaubst du, dass ich Pound in der Metro gesehen haben kann?, fragte ich Federico auf dem Heimweg nach einem Arbeitstreffen im Diner
.
Wie bitte?
Den Dichter, Ezra Pound.
Aber der ist doch in Italien oder Paris, oder was weiß ich.
Er ist in Italien, sagte ich, aber was macht das schon?
Ach, jetzt kapiere ich. Definitiv nein, es ist unmöglich, dass jemand wie du ihn gesehen hat.
Jemand wie ich?
*
Ich hatte aber nicht nur Ezra Pound gesehen. Eines Tages fiel mir auf, dass ich bei den Hin- und Rückfahrten zum Konsulat schon seit geraumer Zeit eine Reihe von Leuten in der Subway sah, und dass diese, um es so zu sagen, nicht gewöhnliche Personen waren, sondern Echos von Personen, die vielleicht einmal in der Stadt gewohnt hatten, oberirdisch, sich jetzt aber nur noch durch die Eingeweide dieses übergroßen Wals bewegten. Unter diesen Leuten war eine Frau mit einem braunen Gesicht und tiefen Ringen unter den Augen, die ich schon bei mehreren Gelegenheiten gesehen hatte; manchmal auf dem Bahnsteig wartend, andere Male im Zug, aber immer in einem anderen als ich. Ich sah die Frau meistens dann, wenn zwei Züge ein Paar Sekunden lang parallel nebeneinander in der gleichen Geschwindigkeit fuhren und man die anderen vorbeiziehen sah wie die Bilder auf einem Filmstreifen.
Ich schrieb Novo einen Brief und erzählte ihm von dieser Frau, die immer einen roten Mantel trug, davon, wie sie ihren Kopf beim Lesen leicht an das Waggonfenster lehnte; manchmal sah sie auch nur in die Dunkelheit der Tunnel, saß auf einem Holzstuhl auf dem Bahnsteig. Ich schrieb ihm auchüber Pound und all diese Leute, die in den Waggons saßen und doch nicht da waren, ein wenig so wie ich. Er antwortete mir, ich sei selbst ein Subwicht, und ich solle, statt Gespenster zu suchen, wo es keine gab, ihm lieber ein Gedicht über die Subway oder irgendetwas Geeignetes für die Zeitschrift
Contemporáneos
schicken. Und ich habe auf ihn gehört und ein Gedicht von über 400 Versen geschrieben, denn ich hörte immer auf Salvador. Aber die dunkle Frau mit den traurigen Ringen unter den Augen erschien mir immer wieder, bis zum letzten Tag, den ich auf dieser Insel der Subwichte verbrachte.
*
Mein Mann hat die Schublade offen gelassen, in der er seine Kalender, Karten und das kaffeefarbene Heft mit den Gedichten aufbewahrt, die er ab und zu schreibt, aber keinen sehen lässt.
*
In dem Zimmer, das ich in dem Gebäude am Morningside Park gemietet hatte, stand auf dem Fensterbrett ein Blumentopf, der wie eine Lampe aussah. Der Topf war grün geflammt, und darin wuchs ein Orangenbaum. Im dürftigen Schatten dieses Bäumchens schrieb ich Liebesbriefe an Clementina Otero, Briefe an die Familie Goros, an Salvador und an Villaurrutia. Da wurde ich ganz zum Provinzpoeten. Ich erzählte wieder und wieder von meinem Leben in der großen Stadt, wie um sie in Besitz zu nehmen, war mir vielleicht dessen bewusst,dass auch das Glück von der Syntax abhängt. »Lieber X: Ich wohne in der Morningside Av. 63«, ein ums andere Mal, an jeden meiner unsichtbaren Gesprächspartner.
*
Ich öffne das kaffeefarbene Notizbuch, das mich schon seit einigen Stunden vom Tisch aus ansieht. Ich öffne es irgendwo:
Bebende Laszivität der Regenabende
Als dein Körper auf die Botschaft der Dachziegel
Antwortend Morsebuchstaben stammelte.
Das sind eindeutig für eine andere Person geschriebene Verse. Ich will das nicht weiterlesen.
*
Es ist Samstag, und ich darf die Kinder besuchen. Ich erreiche das Gebäude meiner Exfrau in der Park Avenue und grüße von draußen den Portier, der gleich meine Kinder rufen lässt und dann herauskommt, um schweigend eine mit mir zu rauchen, bis sie voll alberner Lebenslust herunterkommen. Sie erzählen mir, dass ihre Mutter ein neues Rundfunkgerät gekauft hat, dass sie ihnen alles mögliche neue Spielzeug geschenkt hat, dass sie einen Kriegsfilm in einem riesigen Kino gesehen haben und nächste Woche ans
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