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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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wollte ohne Zwischenstopps von Mexiko nach New York fliegen, dabei war der Arme gegen einen kleinen Berg in New Jersey geprallt. Neben meinen Tipparbeiten und der amtlichen Buchführung musste ich einen Bericht über den Tod des Piloten verfassen. Ich habe über drei Stunden für einen Absatz gebraucht.
    Ich verließ benommen das Konsulat, sehr betrübt ob des armen Unbekannten, der an diesem Morgen ins Gras gebissen hatte. Ich lief dieselben Straßen wie immer entlang und stieg die Treppen beim Metroeingang hinunter. Vielleicht bin ich da gestolpert und mit dem Schädel gegen die Stufenkanten geknallt. Oder vielleicht bin ich bis zum Bahnsteig gekommen und habe mich aufs Gleis fallen lassen. Danach binich wohl im Waggon eingeschlafen, denn ich kann mich an die Fahrt überhaupt nicht erinnern. Dieser Uhrenengel, der die Leute genau an ihrer Station aufweckt, weckte mich an der 116. Straße. Das Erste, woran ich mich erinnern kann, ist das Gesicht von Ezra Pound, der in der Menge der Wartenden auf dem Bahnsteig stand – ich wusste, er konnte es nicht sein, weil Pound zu jener Zeit in Italien war, aber das Gesicht eines künftigen Irren im Käfig war unverkennbar. Die Türen öffneten sich, und da stand er, an eine Säule der Plattform gelehnt. Wir haben uns geradewegs in die Augen geschaut, als hätten wir uns erkannt, obwohl er unmöglich etwas von mir wissen konnte, einem Tarasco aus Toluca, weder rothaarig noch hübsch, eher Poet als Arschloch. Ich konnte mich nicht von dort fortbewegen, statt mit den anderen hin auszugehen, ließ ich sie aussteigen und durch neue Fahrgäste ersetzen, die ebenso verschwitzt, hässlich und normal waren. Pound ging mir zwischen den allzu vielen Gesichtern auf dem Bahnsteig verloren, wie jene feuchten Blütenblätter aus seinem Gedicht.
    *
    Federico hatte eine oder zwei Tugenden. Während meiner ersten Monate in Manhattan haben wir uns jede Woche in einem Diner, auf der Höhe der 108. Straße gesehen. Wir trafen uns, weil wir an einem Drehbuch für den armen Emilio Amero schrieben, dem es nie glückte, eine Idee mit einer anderen zu verbinden, der uns aber beide gebeten hatte, an seinem nächsten Film mitzuarbeiten. Ich weiß nicht, was Federico dazu bewogen hatte, für mich jedenfalls war es eine Möglichkeit,einmal in der Woche außerhalb des Konsulats mit jemandem Spanisch zu sprechen. Es handelte sich um ein nicht realisierbares Drehbuch über Mondfahrten. Ich wollte endlose Fahrten in einem Aufzug, der sich mit Augen füllen sollte; Federico, voller Ressentiments, schrieb Sequenzen von Buñuel oder Dalí um, die durch New Yorker Wasser gegangen waren. So wurden wir allmählich Freunde.
    Am Ende hatten wir uns so wenig zu sagen, dass Federico einen weiteren Dichter zu den Treffen lud, damit wir danach über ihn lästern konnten. Dabei wurden wir tatsächlich richtige Freunde. Darin waren wir Hispanos schon immer gut. Spanisch ist eine Sprache, die sich fürs Lästern ungemein eignet, und deshalb sind wir schlechte Kritiker und gute Feinde unserer Freunde. Der Dichter war ein Yankee und hieß Joshua. Aber wir redeten ihn mit seinem Nachnamen an: Zvorsky. Und unter uns, wenn er nicht da war, hieß er einfach »Z«. Seine Nase war so lang und phallisch wie die Insel Manhattan, und er trug eine riesige Brille in Hodenform, beides machte aus seinem Gesicht das perfekte Ebenbild des Sexualorgans eines Fohlens. Er hatte begonnen, ein langes Gedicht zu schreiben, so etwas wie die
Cantos
von Ezra Pound, erklärte er uns. Federico verstand kein Wort von dem, was Z sagte, dessen Englisch so klang, als halte er eine Messe auf Jiddisch ab, und so sprang ich als Übersetzer für beide ein. Dabei verstand ich selbst nicht viel.
The poem will be called
»That«, erklärte der Dichter,
because a little boy, when he’s learning how to talk & ennumerate the world, always says: »That dog«, »That Lolly-pop«, & so forth and so on.
Er sagt, sein Buch wird »That«heißen, erkläre ich Federico, weil ein kleines Kind immer »That Hund«, »That Lutscher« und so ähnlich sagt.
    Federico konnte sich immer begeistern, wenn er einen neuen Gedanken kapiert hatte, das war seine Tugend. Aber nach und nach überfluteten ihn dann Bedenken, und Ernüchterung setzte ein; auch das war seine Tugend. Wenn der Amidichter weg war, redeten wir über Gide und Valéry. In unserer Eigenschaft als Hispanos, die eben erst den Klassikern entwachsen waren, befanden wir uns auf der sicheren Seite: Wir waren die Erben der

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