Die Schwerelosen
Meer fahren. Ich geh mit ihnen, jedes Kind an einer Hand, im Central Park spazieren.
Es ist Zeit, dass ihr euch die Enten anschaut, Kinder.
Wir schauen uns immer die Enten an, Papa.
Bis jetzt habe ich das Problem mit den Augen gut überspielen können. Wenn die Sonne sinkt und die Dinge sich vor mir zu verstecken beginnen, sage ich zu der Jüngeren: Generalin, zählen Sie auf Englisch alles auf, was wir vor uns haben, und sie beginnt:
A duck, a lake, a big tree, a little tree.
Sie spricht das Englisch übertrieben nach Yankeeart aus, wie es bei den lateinamerikanischen Kindern der Oberschicht üblich ist. Sie sagt:
A dack, a leik, a beg twee, a lirel twee
. Und wenn wir am Ende des Spaziergangs das Eis bezahlen müssen, sage ich zum Großen: Sie zählen die Münzen, Soldat, und geben dem Verkäufer den genauen Betrag.
Wenn wir uns dann am Fuß der Treppe zu ihrem Zuhause wieder verabschieden, gebe ich ihnen einen Kuss auf die Stirn, mit geschlossenen Augen, nicht dass die herausgucken – ich stelle mir meine Augen wie zwei Rosinen vor, leicht gräulich, geschrumpelt, klein und faulig. Dann nehme ich den Zug zurück nach Philadelphia. Im Waggon lege ich meinen Kopf auf den Sitz und taste nach meinen geschlossenen Lidern, prüfe, ob meine Augen noch da sind. Sie sind da, voller Wasser, darin die Erinnerung an meine Kinder, verletzte Bildnisse.
*
Es ist Sonntag, und mein Mann geht mit den Kindern in den Zoo. Sie werden einen langen Spaziergang durch Chapultepec machen, und der Mittlere wird aufgedreht zurückkommen und von den Elefanten erzählen, die sich nie hinlegenkönnen, weil sie sonst nicht wieder aufstehen könnten. Danach wird er ein bisschen traurig werden und nach dem Warum fragen: Warum dürfen die Tiere nicht aus dem Zoo und du nicht aus dem Haus, Mama?
*
Gott und die Menschen solidarisieren sich mit den Opfern. Aber nicht mit jedem Opfer, sondern mit denen, die sich erfolgreich als Opfer darstellen. Meine Exfrau, zum Beispiel. Als wir uns scheiden ließen, wurde die Criolla zur Dichterin und zum Opfer; zur Prophetin aller geschiedenen Opfer.
Sie hat gerade ein Bändchen mit höchst verbitterten, selbst geschriebenen und dreisprachigen Prosagedichten in dem imaginären Verlag ihrer Mentorin veröffentlicht, die eine Poesiewerkstatt leitet, an der die Teilnahme mehr kostet als meine Miete in Philadelphia. Sie ist so taktlos, mich zur Buchpräsentation einzuladen, die in ihrer eigenen Wohnung stattfindet. Da ich weiß, dass ich ihr zu Gefallen sein muss, weil sie mir sonst nie mehr die Kinder ausleiht, bin ich so taktvoll, zu ihr nach New York zu fahren.
Ein Diener öffnet mir die Tür. Ich frage nach den Kindern; sie schlafen. Die Wohnung riecht nach einer Mischung aus gehobener Parfümerie, Schminke, frisch gebügelten Kleidern und Spargel. Der Diener bietet mir einen Martini an und einen Teller mit gekochtem Spargel, genau. Die Augen können mir einen Streich spielen, aber ich bin Hund genug, um die Gefahren eines Hexensabbaths zu wittern, Weiber die sich um ihren Groll und eine Platte teurer kleiner Schweinereienversammeln. Ich hänge meine Jacke vorne bei der Garderobe auf, zwischen Handtaschen und Damenmänteln in allen Größen und Texturen; ich nehme nur einen Martini und bahne mir den Weg zum Salon.
Ich sehe sie nicht sehr deutlich, aber nach dem Lärm und dem Geruch zu urteilen, müssen es mehr als zwanzig, mehr als dreißig sein, die in konzentrischen Halbkreisen um meine Exfrau und zwei weitere Rednerinnen sitzen – die drei Hexen von Macbeth, doch noch vulgärer und unzufriedener mit ihrem Leben. Wie ich da vor dem Raum stehe, ziehen sich mir plötzlich die Hoden zusammen. Zwei Erdnüsse. Vielleicht verschwinden sie völlig. Ich bleibe hinter der letzten Stuhlreihe stehen, möglichst nah bei dem Diener, in Panik.
Meine Exfrau liest gerade, man hört ihren Akzent einer internationalen Bogotanerin. Die Arme hat eine sehr hässliche Stimme – sie stößt die gutturalen Konsonanten heraus, zieht die offenen Vokale in die Länge und schrillt die Is wie eine falsch eingestellte Maschine. Sie liest ein Gedicht über den praktischen Nutzen der Ehemänner. Ihre Mundwinkel haben sich schon immer etwas abwärts gebogen, wenn sie laut las, auch wenn sie mir die endlose Liste meiner Mängel vorwarf. Ich kann mir den bitteren Zug vorstellen, der jetzt von den Furchen und Säcken der gealterten Haut betont wird. Zuweilen bricht bei den Geladenen ein Gelächter wie von Hyänen aus. Wer weiß,
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