Die Schwerelosen
Radio, eine Lumpenpuppe. Vielleicht würde die Summe der Schatten sich am Ende zum Ding an sich zuspitzen, auf dass Homer gerettet würde von der Leere, die sich nach und nach in seinem Kopf ausbreitete.
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Z war ein bedeutender Dichter. Einmal hat er Federico und mich geladen, um uns Fragmente aus »That« vorzulesen. Wir trafen uns bei einer Parkbank auf dem zentralen Platz der Columbia University. Federico kam zu spät, mit der üblichen Arroganz eines Stars, der kurz vor seiner Entdeckung steht. Ich war eben mit Nella Larsen zusammen, sagte er, als hätte er sich mit dem König von Frankreich amüsiert. Federico war wie ein Narziss, der Freud gelesen hatte, dabei aber nicht erschrocken, sondern gerührt gewesen war.
Z begann ohne irgendeine Einleitung zu lesen, wie es die sehr Selbstbewussten oder die allseits Unsicheren tun. Hörte man ihm zu, war es, als erlebe man eine religiöse Zeremonie von Abessiniern. Obwohl mein Englisch ein ganzes Stück besser geworden war, verstand ich fast gar nichts. Die Verse waren mit Splittern der Theorien von Marx, Cabet, Spinoza, mit Theorie im Allgemeinen gespickt, und damit erinnerten sie an die Propheten, die an den Straßenecken im Finanzdistrikt standen und das Ende der Welt, des Kapitalismus, der
world as we know it
voraussagten. Aber jenseits der Theorien hatten seine Verse eine Plastizität, wie ich sie noch nie bei einem meiner Zeitgenossen unter den Yankees erlebt hatte (die im übrigen nie auf den Gedanken kamen, ich sei meinerseits einer ihrer Zeitgenossen). Ein paar Verse haben sich mir eingeprägt, es geht darum, wie die Zeit uns verändert und bricht, ich habe sie zwar nie ganz verstanden, aber dann und wann kehren sie zurück in mein Gedächtnis und ich wälze mich darin wie eine Sau im Morast ihrer Untröstlichkeit.
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Vielleicht sollte ich ein Stück Seife in den Fressnapf legen oder etwas Rasiercreme, vielleicht sterben die Katzen dann und lassen mich in Ruhe.
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Wir spielen in diesem Riesenhaus Verstecken. Es ist eine andere Variante des Spiels. Ich verstecke mich, und die übrigen müssen mich suchen. Manchmal vergehen Stunden dabei. Ichsperre mich im Wandschrank ein und schreibe lange Absätze über ein anderes Leben, ein Leben, das meins, aber doch nicht das meinige ist. Bis jemandem wieder einfällt, dass ich mich versteckt habe, sie finden mich, und der Mittlere schreit: Gefunden!
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An diesem Samstag fahre ich nach Manhattan und besuche die Kinder. Deren Mutter ist das Wochenende über weg – in den Luxushotels im Süden der Stadt oder den Strandhäusern an der Küste von Long Island –, und ich verbleibe in ihrer Höhere-Tochter-Wohnung in einer hohen Nummer der Park Avenue.
Ich komme ein wenig zu spät, und der Portier lässt mich in die Wohnung. Auch wenn ich das jetzt kaum sehen kann, ich weiß, dass in der Diele ein Marmortisch steht, darauf ein Krug mit frischen Blumen; es gibt einen langen Tisch und einen Salon für die Geselligkeit. Es gibt Vitrinenschränke mit dem Geschirr, von dem ich bei vielen Abendessen gegessen habe, eine Wand voller Familienbildnisse, auf denen ich nicht auftauche – abgesehen von der Narbe, die ein Nagel gelassen hat; es gibt ein Klavier mit seiner unlesbaren Partitur, Tabletts, eine Bedienstete in Uniform, ein Bett, so groß und so bitter gelb wie das Meer von Mazatlán. Es gibt eine Hausbar, gefüllt mit unverzichtbaren alkoholischen Getränken.
Meine Exfrau ist so zartfühlend, zu meinem Empfang nicht mehr da zu sein. Sie lässt mir einen Zettel mit Instruktionenda, den mir das Dienstmädchen vorliest: Der Kleine darf keinen Zucker essen, bis auf Weiteres. Die Kleine badet um acht Uhr abends. Als wüsste ich das nicht.
Es ist ein strahlend schöner Nachmittag. Ich stecke den Zettel in die Tasche, greife mir eine Flasche Aguardiente aus Cundinamarca und gehe mit den Kindern in meinem alten Viertel spazieren.
Wir wollen auf den Jahrmarkt, Papa.
Unmöglich, Kinder, kein Geld.
Wir nehmen den
subway
bis zur Hundertundsoundsovielten und überqueren die Insel zu Fuß von Osten nach Westen. An einer Ecke kaufen wir eine Wassermelone und Sprudel. Beim Morningside Park angekommen, setzen wir uns unter einen weißen Maulbeerfeigenbaum, über fünfzehn Meter hoch, ein verfilzter Schatten, wie das Haar eines Schwarzen. Wir brechen die Wassermelone mit den Händen auf, mit einem Stein, mit einem Stöckchen und den Zähnen; ich zwinge die Kinder, sie ganz aufzuessen; wir sitzen auf unseren Pullovern, weil wir die
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