Die Schwester der Braut
einer simplen Logik: Alex war wie Lauren; Ally war wie Jorge. So waren die Kinder auch aufgewachsen. Alicia hielt sich immer an ihren Vater. Er war derjenige, der ihr nach der Arbeit bei den Schularbeiten half, der ihr – wie Alex auch – das Fahrradfahren beibrachte. Sie hockte auf seinem Schoss, wenn er abends vor dem Fernseher saß. Doch sie schaute nicht auch Fernsehen. Vielmehr saß sie einfach da, mit ihrem Kopf auf seiner Brust, und horchte auf seinen Herzschlag.
Vielleicht hatte genau das die junge Frau nach dem Tod ihres Vaters vor fünf Jahren aus dem Takt gebracht; dass sie Jorges Herzschlag nicht mehr hören konnte. Erst als sie Rick kennengelernt hatte, schien Ally wieder anzufangen zu leben. Aber in der Zwischenzeit hatte sie einen Schrein für ihren Vater errichtet, den nur sie selbst besuchen durfte.
Lauren hatte es zugelassen. Sie war selbst zu gefangen in ihrem eigenen Schmerz, als dass sie ihren erwachsenen Töchtern helfen konnte, Frieden mit dem Tod ihres Vaters zu machen. Das Problem war, dass Alex sie nicht brauchte, um diesen Frieden zu finden. Und Ally brauchte ihren Vater zu sehr. Vielleicht hatten die Eltern einen Fehler begangen, als sie ihre Kinder unbewusst, oder teilweise bewusst, getrennt aufzogen: Jorge mit seinen Augen auf Ally, Lauren mit ihren auf Alex. Ally hatte angefangen zu denken, dass Jorge »ihr« Elternteil war, und den hatte sie verloren. Das bedeutete für sie offensichtlich, dass Alex im Vorteil war, denn Lauren musste sie schließlich mehr lieben. Aber dem war nicht so. Lauren liebte ihre beiden Töchter. Sie liebte sie wegen verschiedener Dinge, vielleicht auch auf unterschiedliche Weise, doch nicht weniger stark.
Dana hatte von der Aufregung im Haus der Herreras nichts mitbekommen. Nachdem Alex sie am Morgen verlassen hatte, war sie wieder ins Bett gegangen. Sie war erschöpft, aber sie musste auch schon drei Stunden später wieder aufstehen, um sich für ihren Job fertig zu machen.
Unter der Woche gab es im Restaurant einen Mittagstisch. Dieser war nicht wie das formelle Abendessen eine Krawatten- und Jackett-Angelegenheit. Vielmehr kamen viele der Leute einfach von der Arbeit herüber. Giordelli’s hatte die beste italienische Küche der Umgebung, und das sprach sich herum. Üblicherweise war das Restaurant über Mittag sehr gut besucht. Dana hatte recht flexible Arbeitszeiten. Der Besitzer, Ricardo Giordelli, hatte sie gern im Restaurant, wenn größere Veranstaltungen anstanden oder jemand einen Tisch für ein Geschäftsessen bestellt hatte. Normalerweise war sie abends öfter im Restaurant als tagsüber, doch an diesem Mittwoch hatte sich eine zehnköpfige Gesellschaft angekündigt, daher würde sie natürlich an ihrem Platz am Empfang stehen, um die Gäste zu begrüßen.
Dana mochte die Arbeit im Restaurant. Es war nicht nur ihre Aufgabe, die Gäste zu begrüßen und sie zu ihrem Tisch zu führen. Sie war diejenige, die die Reservierungen überwachte und den Kellnern und Kellnerinnen sagte, wann und wie sie die Tische zusammenstellen sollten. Sie hielt ein Auge auf das Geschehen, damit sie, falls es Probleme gab, einschreiten und diese so schnell und diskret wie möglich lösen konnte.
Dabei hatte sie sich an einem verregneten Septembernachmittag in Ricardos Restaurant als Kellnerin beworben. Der Eigentümer war skeptisch gewesen. Dana war gebildet und kultiviert. Warum wollte sie als Kellnerin arbeiten? Sie erzählte ihm vom Tod ihres Sohnes, davon, dass sie eine Aufgabe brauchte, damit sie nicht völlig den Verstand verlor. Die Giordellis hatten ebenfalls Kinder; zwei Söhne, die allerdings noch erheblich jünger waren, als es Josh bei seinem Tod gewesen war. Ricardo konnte sich vorstellen, was Dana durchmachte. Er selbst hatte bisher versucht, sich um die Aufgaben eines Hosts zu kümmern, doch er hatte zu viel hinter den Kulissen zu tun, als dass er ein ständiges Auge auf die Geschehnisse im Restaurant haben konnte. Also schaffte er diesen Posten für Dana. Er stellte sie als Hostess ein und bereute seine Entscheidung nie.
Dana war zuvorkommend und höflich. Sie lächelte, manchmal führte sie kurze Unterhaltungen mit Gästen, die sie kannte. Sie bemühte sich, die Stammgäste kennenzulernen, und schaffte es immer, ihnen ein paar persönliche Details zu entlocken, auf die sie sie beim nächsten Besuch ansprechen konnte. Sie schlichtete, sie organisierte, sie behielt die Belegschaft im Auge. Sie sorgte für einen reibungslosen Ablauf im
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