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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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den ich mich abgerackert hatte, seit ich zwölf Jahre alt war. Ich würde die kleine Hure aus der vergangenen Saison sein.
    »Du wirst meine Hofdame«, antwortete Anne zuckersüß. »Das andere Boleyn-Mädchen.«
     
    |272| Niemand wußte, wieviel die Königin von der Katastrophe ahnte, die sich über ihr zusammenbraute. In jenen Frühlingstagen war sie eine Königin aus Eis und Stein, während der Kardinal in den Universitäten Europas Beweise gegen sie suchte, die völlig frei war von jeder Schuld. Als wolle sie das Schicksal herausfordern, begann die Königin die Arbeit an einem neuen Altartuch, einem Pendant zu einer Stickerei, die sie vor einiger Zeit angefangen hatte. Es würde ein ungeheures Vorhaben sein, das Jahre dauern und zu seiner Vollendung einen ganzen Hofstaat von Damen benötigen würde. Es war, als müsse sie sogar mit ihrer Stickerei der Welt zeigen, daß sie als Königin von England zu leben und zu sterben gedachte. Wie konnte es auch anders sein? Keine Königin war je zuvor verstoßen worden.
    Sie hatte mich gebeten, ihr beim Ausfüllen des blauen Himmels über den Engeln zu helfen. Ein Künstler aus Florenz hatte den Entwurf für sie im neuen Stil gezeichnet: mit üppigen rundlichen Körpern, die halb hinter den federigen Flügeln der Engel verborgen waren, und mit leuchtend ausdrucksvollen Gesichtern der Hirten um die Krippe. Die Menschen auf der Zeichnung wirkten so lebendig, als wären sie aus Fleisch und Blut. Ich war froh, daß ich nicht mit meiner Nadel den winzigen, detaillierten Linien folgen mußte. Denn lange bevor der Himmel fertiggestickt war, hätte Wolsey sicher schon sein Urteil verkündet, der Papst hätte es bestätigt, und die Königin wäre geschieden und würde sich in einem Kloster aufhalten. Mochten die Nonnen dort die schwierigen Faltenwürfe und federigen Flügel sticken, während wir Boleyns die Falle hinter dem nun freien und ungebundenen König zuschnappen ließen. Ich hatte gerade einen langen blauen Seidenfaden für ein winziges Stückchen Himmel verstickt und war mit meiner Nadel zum schmalen Fenster ans Licht gegangen, als ich den braunen Haarschopf meines Bruders bemerkte, der die Treppe am Wassergraben hinaufrannte. Dann war er aus meinen Augen verschwunden, wie sehr ich mich auch hinauslehnte, um festzustellen, wohin er gelaufen war.
    »Was ist, Lady Carey?« fragte die Königin hinter mir mit ausdrucksloser Stimme.
    |273| »Mein Bruder kommt«, antwortete ich. »Darf ich ihn begrüßen gehen, Majestät?«
    »Natürlich«, erwiderte sie ruhig. »Wenn die Nachricht wichtig ist, dürft Ihr sie mir gleich bringen, Mary.«
    Ich hielt die Nadel noch in der Hand, als ich den Raum verließ und die steinerne Treppe zum Großen Saal hinuntereilte. George kam gerade zur Tür herein.
    »Was ist geschehen?« fragte ich.
    »Ich muß sofort mit Vater sprechen«, sagte er. »Man hat den Papst gefangengenommen.«
    »Was?«
    »Wo ist Vater? Wo ist er?«
    »Vielleicht bei den Schreibern.«
    George wandte sich sofort um, wollte in die Schreibstube gehen. Ich eilte hinter ihm her und packte ihn beim Ärmel, aber er riß sich los. »Warte, George! Gefangengenommen? Wer hat das getan?«
    »Die spanische Armee«, antwortete er. »Söldner im Dienste Carlos’ von Spanien. Man sagt, sie hätten die Heilige Stadt geplündert und Seine Heiligkeit gefangengenommen.«
    Einen Augenblick lang stand ich stocksteif da, stumm vor Schreck. »Sie werden ihn wieder freilassen«, meinte ich. »Sie können doch nicht …« Mir fehlten die Worte. George trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, wollte unbedingt weiter.
    »Denk doch einmal nach!« riet er mir. »Was bedeutet das, wenn der Papst von der spanischen Armee gefangengenommen wurde? Was bedeutet das?«
    »Daß der Heilige Vater in Gefahr ist«, sagte ich halbherzig. »Man kann doch den Papst nicht gefangennehmen …«
    George lachte lauthals auf. »Du Närrin!« Er zog mich die Stufen zur Schreibstube hinauf, hämmerte an die Tür und steckte seinen Kopf ins Zimmer. »Ist mein Vater hier?«
    »Beim König«, erwiderte jemand. »Im Privatgemach.«
    George machte auf dem Absatz kehrt und rannte die Treppe wieder hinunter. Ich raffte den langen Rock meines Kleides auf und trippelte hinter ihm her. »Ich begreife das nicht.«
    |274| »Wer kann dem König eine Scheidung bewilligen?« wollte George wissen und blieb auf dem Treppenabsatz stehen. Seine braunen Augen blitzten vor Erregung.
    »Nur der Papst«, stammelte ich.
    »Und wer hat den

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