Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Onkels bekamen Wind von diesem Geheimgericht, und sofort wurden Anne, George und ich in seine Gemächer in Windsor befohlen.
»Eine Scheidung, und mit welchem Hintergedanken?« wollte er wissen, und seine Stimme war heiser vor Erregung.
Anne war völlig aus dem Häuschen. »Er muß es um meinetwillen tun. Er muß planen, die Königin um meinetwillen zu verstoßen.«
»Hat er dir einen Antrag gemacht?« Onkel kam sofort zur Sache.
Sie blickte ihn an. »Nein. Wie kann er das? Aber ich wette, daß er mich fragt, sobald er von der Königin frei ist.«
Mein Onkel nickte. »Wie lange kannst du ihn hinhalten?«
»Wie lange kann so etwas dauern?« konterte Anne. »Das |270| Gericht tagt jetzt. Es wird ein Urteil verkünden, die Königin wird verstoßen, und der König ist endlich frei. Und voilà, dann bin ich da!«
Gegen seinen Willen mußte er über ihre Selbstsicherheit lächeln. »Voilà. Ja, du bist da«, stimmte er ihr zu.
»Ihr seid also einverstanden, daß ich es sein soll.« Anne schloß einen Handel mit ihm ab. »Mary verläßt den Hof oder bleibt, ganz wie es mir paßt. Die Familie unterstützt mich beim König, wie ich es benötige. Alles wird nur zu meinem Nutzen eingesetzt. Wir haben keine Wahl. Mary kehrt nicht wieder an ihre alte Position zurück. Ihr treibt sie auch nicht dazu. Jetzt bin ich das einzige Boleyn-Mädchen, das gefördert wird.«
Onkel blickte meinen Vater an. Vater schaute von einer Tochter zur anderen und zuckte die Achseln. »Ich hege in beiden Fällen meine Zweifel«, meinte er schlicht. »Sicher hat er doch Höheres im Sinn als eine Bürgerliche. Mary wird es sicher nicht sein. Sie hat ihre beste Zeit bei ihm hinter sich. Er ist merklich abgekühlt.«
Mir liefen bei dieser herzlosen Feststellung kalte Schauer über den Rücken. Mein Vater schaute mich nicht einmal an. Hier ging es ums Geschäft. »Mary wird es also nicht sein. Aber ich bezweifle doch sehr, daß seine Leidenschaft für Anne ihn so weit treibt, daß er sie einer französischen Prinzessin vorziehen würde.«
Onkel überlegte einen Augenblick lang. »Welche unterstützen wir?«
»Anne«, empfahl meine Mutter. »Er ist verrückt nach ihr. Wenn er seine Frau noch diesen Monat loswird, dann, glaube ich, wird er Anne nehmen.«
Onkel schaute abschätzend von meiner Schwester zu mir. »Also Anne«, entschied er.
Anne lächelte nicht einmal. Sie stieß nur einen kleinen Seufzer der Erleichterung aus.
Onkel schob den Stuhl zurück und stand auf.
»Und was ist mit mir?« fragte ich unbeholfen.
Sie betrachteten mich alle, als hätten sie einen Augenblick lang völlig vergessen, daß ich überhaupt da war.
|271| »Was ist mit mir? Soll ich noch in sein Bett gehen, wenn er nach mir ruft? Oder soll ich mich weigern?«
Diese Entscheidung fällte nicht mein Onkel. Er, das Oberhaupt der Familie, schaute zu meiner Schwester.
»Sie darf sich nicht weigern«, antwortete sie. »Wir wollen doch nicht, daß ihm irgendeine Schlampe ins Bett kriecht und ihn ablenkt. Mary muß nachts seine Mätresse bleiben. Tagsüber verliebt er sich immer mehr in mich. Aber du mußt langweilig sein, Mary, langweilig wie eine Ehefrau.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, antwortete ich gereizt.
Anne lachte ihr gurgelndes, aufreizendes Lachen. »O doch, das kannst du«, erwiderte sie mit einem schlauen kleinen Seitenblick auf meinen Onkel. »Du kannst wunderbar langweilig sein, Mary. Unterschätze dich da nicht.«
Ich merkte, daß mein Onkel ein Lächeln unterdrückte, und spürte, wie mir die Zornesröte ins Gesicht schoß. George neigte sich zu mir, lehnte sich tröstend gegen mich, als wollte er mich daran erinnern, daß aller Protest nichts nutzen würde.
Anne schaute zu meinem Onkel und zog eine Augenbraue in die Höhe. Mit einem Nicken gab er uns die Erlaubnis, uns zu entfernen. Anne ging als erste aus dem Zimmer, und ich folgte dem Saum ihres Gewandes, genau wie ich es immer befürchtet hatte. George berührte meine Hand, aber ich spürte es kaum. An mir nagte die Wut darüber, daß man mich zugunsten meiner Schwester hatte fallenlassen. Meine eigene Familie hatte beschlossen, daß ich die Hure sein sollte und sie die Ehefrau.
»Also werde ich Königin«, meinte Anne verträumt.
»Und ich Schwager des englischen Königs«, erwiderte George, als könne er es kaum glauben.
»Und was werde ich?« keifte ich. Ich würde nicht mehr die Favoritin des Königs, nicht mehr der Mittelpunkt des Hofes sein. Ich würde den Platz verlieren, für
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