Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
schob die französische Haube weit zurück, so daß man darunter ihr dunkles Haar sehen konnte, und zog das goldene »B« gerade, das sie immer um den Hals trug.
»Was siehst du, wenn meine Haube so zurückgeschoben ist?«
»Ein selbstgefälliges Gesicht.«
»Ein faltenloses Gesicht. Und schimmerndes, dunkles Haar ohne einen einzigen grauen Faden.« Sie trat vom Spiegel zurück und bewunderte ihr goldenes Gewand. »Und im Kleid einer Königin«, sagte sie.
Es klopfte, und Jane Parker steckte den Kopf ins Zimmer. »Geheimnisse?« erkundigte sie sich neugierig.
»Nein«, erwiderte ich brüsk. »Wir machen uns nur fertig.«
Sie schlüpfte ins Zimmer. Sie trug ein silbernes Kleid. Es war ohnehin so tief ausgeschnitten, daß man ihr üppiges Dekolleté sehen konnte, doch sie hatte es noch ein wenig weiter nach unten gezogen. Als sie bemerkte, wie Anne ihre Haube trug, ging sie sofort zum Spiegel und schob auch ihren silbernen Kopfputz noch ein wenig zurück. Anne zwinkerte mir hinter ihrem Rücken zu.
»Er zieht Euch allen anderen vor«, sagte sie vertraulich zu Anne. »Jeder kann sehen, wie sehr er Euch begehrt.«
»Tatsächlich.«
|268| Jane wandte sich mir zu. »Macht Euch das nicht eifersüchtig? Ist es nicht seltsam, mit einem Mann das Bett zu teilen, der Eure Schwester will?«
»Nein«, erwiderte ich knapp.
Diese Frau machte vor nichts halt. »Ich würde es sehr seltsam finden. Und dann, noch warm von seinem Bett, schlüpft Ihr neben Anne in die Laken. Und da liegt ihr beide Seite an Seite, so gut wie nackt. Wie muß er sich wünschen, er könnte in Euer Zimmer kommen und Euch beide gleichzeitig haben!«
Ich war entrüstet. »Was sind das für schmutzige Reden. Seine Majestät wäre außerordentlich erbost darüber.«
Sie warf mir ein Lächeln zu, das eher in ein Bordell als ins Boudoir einer Dame paßte. »Natürlich, es darf ja hier nur einen einzigen Mann geben, der zu den beiden schönen Schwestern kommt, wenn sie schon zu Bett gegangen sind, und das ist mein Ehemann. Ich weiß, daß er in den meisten Nächten hier zu Besuch ist. In meinem Bett ist er jedenfalls nie.«
»Großer Gott, wer kann ihm das verdenken?« rief Anne. »Ich würde auch lieber mit einem Wurm schlafen, als Euch die ganze Nacht neben meinem Ohr flüstern zu hören. Verschwindet, Jane Parker, und nehmt Euer schmutziges Mundwerk und Eure noch schmutzigeren Gedanken und bringt sie in die Kloake, wo sie hingehören. Mary und ich gehen zum Tanz.«
Sobald die französischen Gesandten fort waren, richtete Kardinal Wolsey, als hätte er nur die Gelegenheit abgewartet, einen geheimen Gerichtshof ein. Er berief Zeugen, Ankläger und Verteidiger. Es schien auf diese Weise, als handele Wolsey aus eigenem Antrieb und nicht auf höheren Befehl. So konnte eine Scheidung vom Papst erwirkt werden, ohne vom König beantragt zu sein. Niemand wußte davon, nur diejenigen, die man in aller Stille zur Aussage die Themse hinunter nach Westminster brachte. Auch Mutter wußte nichts, obwohl sie immer ein hellwaches Ohr hatte, ebensowenig Onkel Howard, der Meisterspion. Auch ich, warm vom Bett des Königs, war |269| ahnungslos, genauso wie Anne, der Henry sonst sein Vertrauen geschenkt hatte. Am wichtigsten: Selbst die Königin wußte nichts von ihrem Gerichtsverfahren. Drei Tage lang stand die Ehe einer unschuldigen Frau vor Gericht, und sie ahnte nichts davon.
Denn Wolseys geheimes Gericht in Westminster sollte Anklage gegen Henry selbst erheben: daß er unrechtmäßig mit der Frau seines verstorbenen Bruders Arthur ehelich zusammen gelebt hatte. Diese Anklage war so schwerwiegend, und das Gerichtsverfahren schien so widersinnig, daß die Geschworenen wohl ihren Augen kaum trauen wollten, als sie den König sahen, wie er mit gesenktem Büßerhaupt auf der Anklagebank saß und von seinem eigenen Lordkanzler dieser Sünde bezichtigt wurde. Henry gestand, er hätte die Frau seines Bruders aufgrund eines mißverstandenen päpstlichen Dispenses geheiratet. Er erklärte, damals und auch später hätte er »schwere Bedenken« gehabt. Ohne mit der Wimper zu zucken, befahl Wolsey, die Angelegenheit einem päpstlichen Legaten vorzulegen – nämlich ihm selbst, der vollkommen unvoreingenommen sei –, und der König stimmte zu, benannte einen Rechtsanwalt und zog sich zurück. Das Gericht beriet drei Tage lang und zog dann Theologen hinzu, die belegen sollten, daß es ungesetzlich sei, die Frau eines verstorbenen Bruders zu heiraten. Die Spione meines
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