Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
ehrgeiziger junger Mann«, gestand sie ihm mit zuckersüßer Stimme zu. »Wie auch Ihr es in seinem Alter wart, wenn ich mich recht erinnere.«
    »Ich habe niemals danach getrachtet, ganz Europa zu beherrschen und die Pläne weit größerer Männer zu durchkreuzen!« erwiderte er in beißendem Ton.
    Sie schaute zu ihm auf und lächelte ihn mit ihrem unerschütterlichen, freundlichen Selbstvertrauen an. »Nein«, stimmte sie zu. »Es scheint beinahe, als folgte er einer göttlichen Eingebung, nicht wahr?«
     
    Mein Onkel ordnete an, wir sollten uns alle verhalten, als hätten wir keine Niederlage erlitten, als wäre nichts für uns verloren, als hätte man nicht unsere Pläne durchkreuzt. Und so gingen das Lachen, die Musik und die Tändelei in Annes Gemächern weiter. Niemand bezeichnete diese Räume mehr als meine Gemächer, obwohl sie einmal für mich eingerichtet worden waren. Genau wie die Königin ein Gespenst geworden war, war ich nun kaum mehr als ein Schatten. Anne hatte mit mir dort gelebt und in einem Bett geschlafen. Nun war sie die Wirklichkeit und ich der Schatten. Anne ordnete an, daß |277| man Karten brachte, Anne bestellte Wein, Anne schaute auf und lächelte zuckersüß und selbstbewußt, wenn der König in den Raum trat.
    Mir blieb nichts anderes übrig, als mich lächelnd mit dem zweiten Platz abzufinden. Der König mochte mich des Nachts in sein Bett rufen, aber den lieben langen Tag über gehörte er Anne. Zum ersten Mal, seit ich seine Geliebte geworden war, fühlte ich mich wirklich wie eine Hure, und diese Schande hatte mir meine eigene Schwester bereitet.
    Die Königin war die meiste Zeit allein und stickte weiter an ihrem Altartuch, verbrachte viele Stunden vor ihrem Betschemel und traf sich ständig mit ihrem Beichtvater John Fisher, dem Bischof von Rochester. Wenn er nach Stunden aus ihren Gemächern kam, war er stets ernst und still. Wir beobachteten ihn, wie er mit gesenktem Kopf über den gepflasterten Hügel hinunter zu seinem Boot ging, als bedrückten ihn schwere Gedanken.
    »Sie muß ja wie der Teufel gesündigt haben«, meinte Anne. Alle horchten auf und warteten auf den Witz.
    »Oh, und warum?« George gab ihr das Stichwort.
    »Weil sie jeden Tag stundenlang beichtet«, rief Anne. »Gott weiß, was die Frau getan hat, aber sie beichtet länger, als ich zu Tisch sitze!«
    Alle brachen in schmeichlerisches Lachen aus. Anne klatschte in die Hände und bat um Musik. Die Paare stellten sich zum Tanz auf. Ich blieb am Fenster, schaute dem Bischof hinterher und fragte mich, was die beiden so lange miteinander zu bereden hatten. Konnte es sein, daß sie ganz genau wußte, was der König plante? Konnte es sein, daß sie hoffte, die Kirche von England gegen ihn aufzubringen?
    Ich schlängelte mich an den Tänzern vorbei und ging in die Gemächer der Königin. Wie immer in dieser Zeit herrschte dort Stille. Es klang keine Musik aus den geöffneten Fenstern. Die Türen, die sonst für Besucher weit offenstanden, waren nun verschlossen. Ich trat ein.
    Das Empfangszimmer war leer. Das Altartuch lag noch über die Schemel gebreitet. Der Himmel war erst zur Hälfte |278| gestickt. Er würde niemals fertig werden, wenn ihr nicht jemand dabei half. Ich überlegte, wie sie es über sich bringen konnte, ganz allein an einer Ecke zu sticken und noch viele Ellen unbestickten Stoffs vor sich zu sehen. Das Feuer im Kamin war erloschen, es war kalt im Zimmer. Einen Augenblick lang überkam mich echte Furcht. Was ist, wenn man sie geholt hat? dachte ich. Es war ein wahnsinniger Gedanke, denn wer konnte eine Königin verhaften? Oder bedeutete die Stille wirklich nur eins: Daß Henry plötzlich der Geduldsfaden gerissen war? Hatte er etwa seine Soldaten ausgeschickt, um sie vom Hof zu entfernen?
    Dann hörte ich ein winziges Geräusch, ein jämmerliches Wimmern aus ihrem Privatgemach.
    Ich zögerte keine Sekunde. Dieses Geräusch hätte jedes Herz erweicht. Ich machte die Tür auf und trat ein.
    Die Königin hatte den Kopf in die üppigen Bettdecken vergraben, die Haube saß schief. Sie kniete, als wolle sie beten, aber sie hatte sich die Bettdecke in den Mund gestopft, und der einzige Laut, den sie hervorbrachte, war jenes schreckliche, herzzerreißende Winseln. Hinter ihr stand der König, die Arme in die Hüften gestützt, wie ein Henker auf dem Tower Green. Als die Tür sich öffnete, blickte er sich um und sah mich, schien mich aber nicht zu erkennen. Sein Gesicht war das eines Mannes, der außer sich

Weitere Kostenlose Bücher