Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
spielerisch nach dem Hofnarren, der sich geschickt duckte. Der ganze Hof brach in Gelächter aus. Anne errötete hold, drohte dem Narren neckisch mit dem Finger und barg dann in ihrer Verwirrung den Kopf an der Schulter des Königs.
Ich teilte mir mit Anne ein Schlafzimmer in den zweitbesten Räumen, die Richmond Palace zu bieten hatte. Es waren allerdings nicht die Gemächer der Königin. Es schien ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, daß Anne Räume beziehen und sie so üppig ausstatten durfte wie die Königin, daß sie aber noch nicht in den Räumen der Königin leben durfte, obwohl sich die Königin selbst nie dort aufhielt.
Anne lag auf dem reichverzierten Bett. Es war ihr gleichgültig, daß sie dabei ihr Gewand zerknitterte.
|360| »Hattest du einen guten Sommer?« fragte sie mich träge. »Die Kinder sind wohlauf?«
»Ja«, antwortete ich knapp. Nie wieder würde ich aus freien Stücken mit ihr über meinen Sohn reden. Sie hatte jedes Recht verwirkt, seine Tante zu sein, als sie ihn zum Sohn begehrte.
»Du hast mit Onkel beim Bogenschießen zugeschaut«, sagte sie. »Worüber hat er gesprochen?«
Ich überlegte. »Daß du und der König glücklich seid.«
»Ich habe ihm mitgeteilt, daß Wolsey völlig vernichtet werden muß, denn er hat sich gegen mich gewendet, unterstützt jetzt die Königin.«
»Anne, er hat bereits seine Position als Lordkanzler verloren, das reicht doch sicherlich.«
»Er hat mit der Königin korrespondiert. Ich will seinen Kopf.«
»Aber er war doch dein Freund.«
»Nein. Wir haben beide dem König zuliebe eine Rolle gespielt. Wolsey hat mir Fische aus seinen Forellenteichen geschickt, ich habe ihm kleine Geschenke zukommen lassen. Aber ich habe niemals vergessen, was er zu mir wegen Henry Percy gesagt, und er hat nie vergessen, daß ich eine Boleyn bin, ein Emporkömmling, genau wie er. Er war neidisch auf mich, ich auf ihn. Seit dem Augenblick, da ich aus Frankreich zurückkehrte, sind wir Gegner. Er hat mich nicht einmal wahrgenommen, hat nicht begriffen, welche Macht ich habe. Doch in seiner Todesstunde wird er es begreifen. Sein Haus habe ich schon, jetzt will ich sein Leben.«
»Er ist ein alter Mann. Er hat bereits all seine Reichtümer und Titel, seinen ganzen Stolz verloren. Er zieht sich in sein Bistum in York zurück. Laß ihn dort verrotten. Das ist Rache genug.«
Anne schüttelte den Kopf. »Nein, nicht, solange der König ihn noch liebt.«
»Darf der König niemanden außer dir lieben? Nicht einmal den Mann, der ihn jahrelang wie ein Vater beschützt und geleitet hat?«
»Er soll mich lieben, sonst niemanden.«
|361| Ich war überrascht. »Begehrst du ihn jetzt?«
Sie lachte mir ins Gesicht. »Aber nein. Ich will, daß er niemanden sieht außer mir, mit niemandem spricht außer mit mir und den Personen meines Vertrauens. Und wem kann ich schon trauen?«
Ich seufzte tief.
»Dir – vielleicht. George – immer. Vater – gewöhnlich. Mutter – manchmal. Onkel Howard – wenn es in seine Pläne paßt. Meiner Tante nicht, die ist zu Katherine übergelaufen. Vielleicht dem Herzog von Suffolk, keineswegs seiner Frau Mary Tudor, die es nicht ertragen kann, daß ich so hoch aufgestiegen bin. Sonst noch jemandem? Nein, das sind sie alle. Vielleicht haben ein paar Männer eine Schwäche für mich. Mein Vetter Sir Francis Bryan möglicherweise, und auch Francis Weston. Auch Sir Thomas Wyatt hegt noch Gefühle für mich.« Schweigend hob sie zur Warnung den Finger. Wir wußten beide, daß wir an Henry Percy dachten, der, krank vor Unglück, weit weg in Northumberland weilte, der seine Ehefrau nur unter Protest geheiratet hatte und entschlossen war, niemals wieder bei Hof zu erscheinen. »Zehn«, sagte sie leise. »Zehn Menschen, die mir wohlgesonnen sind, gegen all die anderen, die sich von ganzem Herzen über meinen Fall freuen würden.«
»Der Kardinal kann doch jetzt nichts mehr gegen dich unternehmen. Er hat all seine Macht verloren.«
»Dann ist die Zeit reif, daß ich ihn endlich völlig zugrunde richte. Jetzt, da er ein geschlagener alter Mann ist.«
Onkel Howard hatte diese Pläne mit dem Herzog von Suffolk ausgeheckt, aber sie trugen Annes Handschrift. Onkel hatte Beweise für einen Brief Wolseys an den Papst, und Henry, der seinen alten Freund gern wieder in seine hohen Ämter eingesetzt hätte, wandte sich erneut gegen ihn und befahl, ihn zu verhaften.
Anne durfte entscheiden, welcher Lord ihn festnehmen sollte. Es war ihre letzte Geste des
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