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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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mir ab und schwang sich in den Sattel. Der kleine Reiterzug bewegte sich aus dem Burghof.
    Wir ritten über die Zugbrücke, dann die weit geschwungene Straße entlang bis zum anderen Ende des Parks. William Stafford drängte sein Pferd nach vorn neben meines.
    »Weint nicht«, sagte er barsch.
    Ich schaute ihn von der Seite an und wünschte, er würde verschwinden und mit seinen Leuten reiten. »Ich weine nicht.«
    »Doch«, widersprach er mir. »Ich kann eine weinende Frau nicht den ganzen langen Weg nach London begleiten.«
    »Ich bin keine weinende Frau«, sagte ich leicht gereizt. »Aber ich lasse meine Kinder nicht gern zurück. Ich weiß, daß ich sie ein volles Jahr nicht sehen werde. Ich denke, da müßte es erlaubt sein, beim Abschied ein wenig traurig zu sein.«
    »Nein«, antwortete er störrisch. »Ich sage Euch auch, warum. Ihr habt mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, daß eine Frau tun muß, was ihr die Familie befiehlt. Eure Familie hat angeordnet, daß Ihr von Euren Kindern getrennt leben, sogar Euren Sohn Eurer Schwester überlassen sollt. Es wäre sinnvoller, sich gegen sie aufzulehnen und Eure Kinder wieder zu Euch zu nehmen, als nur zu weinen. Wenn Ihr Euch allerdings entscheidet, eine Boleyn und eine Howard zu sein, dann müßt Ihr so zufrieden sein.«
    »Ich möchte gern allein reiten«, erwiderte ich kühl.
    Sofort gab er seinem Pferd die Sporen und befahl den Männern, die an der Spitze des Geleitzugs ritten, zurückzufallen. Nun waren alle sechs Schritt hinter mir, und ich ritt allein und in vollkommenem Schweigen den ganzen langen Weg nach London, genau wie ich es befohlen hatte.

|358| Herbst 1530
    Der Hof residierte in Richmond. Anne strahlte nach einem glücklichen Sommer mit Henry auf dem Land. Sie waren jeden Tag auf die Jagd gegangen, und er hatte ihr ein Geschenk nach dem anderen gemacht. Wohin sie auch kamen, man sagte ihnen überall, daß das ganze Land sie bewunderte, ihre Pläne befürwortete. Überall beteuerte man zur Begrüßung die Treue zur Krone, rezitierte Gedichte, führte Maskenspiele auf. Man versicherte Anne und Henry immer wieder, sie seien ein goldenes Paar und blickten einer gewissen Zukunft entgegen. Nichts konnte ihnen fehlschlagen.
    Mein Vater war aus Frankreich zurückgekehrt und hatte beschlossen, das traute Bild nicht zu stören. »Wenn sie glücklich sind, dann laßt uns Gott dafür danken«, meinte er zu meinem Onkel. Wir beobachteten Anne bei den Schießscheiben auf der Terrasse am Fluß. Sie war eine geschickte Bogenschützin, und nur Lady Elizabeth Ferres könnte sie noch besiegen.
    »Es verschafft ihr ein wenig Abwechslung«, sagte mein Onkel säuerlich. »Eure Tochter hat ein Temperament wie eine Wildkatze.«
    Mein Vater lachte leise. »Das hat sie von ihrer Mutter«, erwiderte er. »Alle Howard-Mädchen sind so. Ihr müßt doch als Kinder mit Eurer Schwester auch einige Kämpfe ausgetragen haben.«
    Onkel Howard ermutigte diesen vertraulichen Ton nicht. »Eine Frau sollte ihren Platz kennen«, sagte er eisig.
    Vater wechselte einen kurzen Blick mit mir. Der regelmäßig wiederkehrende Aufruhr und die Zänkereien im Hause Howard waren ein offenes Geheimnis.
    »Wir haben nicht alle eine so glückliche Hand bei der Wahl unserer Gattinnen wie Ihr«, sagte mein Vater.
    |359| Mein Onkel warf ihm einen überraschten Blick zu. Er war schon so lange Familienoberhaupt, daß er nur noch unterwürfiges Benehmen gewöhnt war. Mein Vater war jedoch inzwischen selbst Graf, und seine Tochter, die eben mit ihrem Pfeil ins Schwarze traf, könnte sehr wohl einmal Königin werden.
    Anne wandte sich nach ihrem Schuß lächelnd zu Henry. Der sprang von seinem Sessel auf, eilte zu den Zielscheiben und küßte sie vor dem versammelten Hofstaat auf den Mund. Alle lächelten und applaudierten. Lady Elizabeth erhielt aus den Händen des Königs ein kleines Schmuckstück, während Anne als Siegespreis eine kleine goldene Krone bekam.
    »Eine Krone«, sinnierte mein Vater.
    Mit einer selbstbewußten Geste zog Anne die Haube vom Kopf. Das schwarze Haar fiel ihr in dicken, glänzenden Locken von der Stirn. Henry setzte ihr die Krone auf. Einen Augenblick lang herrschte völlige Stille.
    Der Hofnarr brach das Schweigen. Er tanzte hinter dem König hervor und blinzelte zu Anne herüber. »Oh, Mistress Anne!« rief er aus. »Auf der Scheibe habt Ihr ins Schwarze getroffen, aber beim König habt Ihr damit anscheinend ganz woanders hingetroffen …«
    Henry lachte schallend und schlug

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