Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
Triumphs über einen Mann, der sie ein törichtes Mädchen und einen Emporkömmling genannt hatte: Henry Percy von Northumberland suchte |362| Wolsey in York auf und teilte ihm mit, er sei des Hochverrats angeklagt, müsse die lange Reise zurück nach London antreten und dort, wie ein Verräter im Tower eingesperrt, auf seinen Prozeß warten und dann den kurzen Gang zum Schafott antreten.
    Henry Percy mußte eine wilde Freude empfunden haben, als er Anne den Mann überstellte, der sie beide getrennt hatte und der nun krank vor Verzweiflung und Erschöpfung war. Wolsey entzog sich ihnen allen, indem er noch auf der Reise starb. Aber der junge Mann, den Anne geliebt hatte, war dem Mann, der sie entzweite, gegenübergetreten und hatte ihn wissen lassen, daß nun die Zeit der Rache gekommen war.

|363| Weihnachten 1530
    Für die Weihnachtstage stieß die Königin in Greenwich zum Hof. Anne hielt ihre Gegenfeiern im alten Palast des toten Kardinals ab. Es war ein offenes Geheimnis, daß sich der König, nachdem er in vollem Staatsgepränge mit der Königin gespeist hatte, davonstahl und sich mit der königlichen Barke nach Whitehall rudern ließ, wo er mit Anne ein weiteres Abendessen einnahm. Manchmal begleiteten ihn ausgewählte Höflinge, darunter auch ich. Dann verbrachten wir, warm eingemummt, einen fröhlichen Abend auf dem Fluß unter dem leuchtenden Sternenhimmel.
    Ich gehörte wieder zum Gefolge der Königin. Ich stellte entsetzt fest, wie verändert sie war. Wenn sie den Kopf hob und Henry anlächelte, konnte sie keine Freude mehr in ihre Augen zaubern.
    Eines Tages saßen wir zusammen in ihrem Gemach am Kamin, das Altartuch zwischen uns ausgebreitet. Ich stickte an dem immer noch unvollendeten blauen Himmel, und sie hatte, was für sie ungewöhnlich war, das Blau aus der Hand gelegt und sich einer anderen Farbe zugewandt. Ich überlegte, daß sie wohl außerordentlich matt sein mußte, wenn sie eine Aufgabe unvollendet ließ. Sonst machte sie stets zäh weiter, wie schwer es ihr auch fiel.
    »Habt Ihr diesen Sommer Eure Kinder besucht?« fragte sie.
    »Ja, Majestät«, antwortete ich. »Catherine trägt jetzt lange Kleider und lernt Französisch und Latein, und Henry haben wir die Locken abgeschnitten.«
    »Schickt Ihr sie an den französischen Hof?«
    Ich konnte meine Angst nicht verhehlen. »Jetzt noch nicht. Sie sind noch so klein.«
    Sie lächelte mich an. »Lady Carey, Ihr wißt doch, daß es |364| nicht darum geht, wie klein sie sind oder wie lieb und teuer sie uns sind. Sie müssen ihre Pflichten lernen. Wie Ihr es getan habt, wie ich es getan habe.«
    »Ich weiß, daß Ihr recht habt«, erwiderte ich leise.
    »Eine Frau muß ihre Pflichten kennen, damit sie diese erfüllen kann und in dem Stand lebt, in den Gott in seiner Güte sie berufen hat«, erklärte die Königin. Sie dachte gewiß an meine Schwester, die keineswegs in dem Stand lebte, in den Gott in seiner Güte sie berufen hatte, sondern in einem glorreichen neuen, den sie sich durch ihre Schönheit und ihren scharfen Verstand erworben hatte und den sie nun unbarmherzig verteidigte.
    Es klopfte an der Tür, und ein Bediensteter meines Onkels stand da.
    »Die Herzogin von Norfolk schickt Euch Orangen«, verkündete er, »und einen Brief.«
    Ich erhob mich, um den wunderhübschen Korb mit den Orangen in ihrem dunkelgrünen Laub entgegenzunehmen. Darauf lag ein Brief mit dem Siegel meines Onkels.
    »Lest mir die Botschaft vor«, sagte die Königin. Ich stellte das Obst auf dem Tisch ab und öffnete das Schreiben: »Majestät, nachdem ich ein frisches Faß Orangen aus dem Land Eurer Geburt in Empfang genommen habe, erlaube ich mir, Euch die besten Früchte mit meinen Empfehlungen zuzusenden.«
    »Wie außerordentlich freundlich«, meinte die Königin ruhig. »Würdet Ihr sie bitte in mein Schlafgemach tragen, Mary? Und schreibt Eurer Tante in meinem Namen und dankt ihr für diese Gabe.«
    Ich erhob mich und trug den Korb in ihr Zimmer. Beim Eintreten blieb ich mit dem Absatz an einer Teppichkante hängen und kam ins Stolpern. Während ich mich wieder fing, rollten die Orangen wie Murmeln durchs ganze Zimmer. Ich schimpfte leise vor mich hin und begann sie eilig wieder in den Korb zu häufen, ehe die Königin ins Zimmer treten und sehen könnte, wie schlecht ich diese einfache Aufgabe ausführte.
    Da bemerkte ich etwas, was mir den Atem raubte. Unten |365| im Korb steckte ein Zettel. Ich glättete ihn. Er war von oben bis unten mit winzigen Zahlen

Weitere Kostenlose Bücher