Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Königin wandte sich zu einem der Diener um, die hinter ihr standen. »Schenkt Seiner Majestät Wein nach«, befahl sie kühl.
Wütend sprang der König auf und schob seinen Stuhl zurück, der kreischend über den Boden schleifte. Der Botschafter, der Lordkanzler und wir andern erhoben uns unsicher ebenfalls. Wie erschöpft sank Henry wieder auf seinen Platz zurück. Königin Katherine schaute ihn an. Sie schien von diesem Streit ebenso gezeichnet zu sein wie er. Geschlagen war sie jedoch nicht.
»Bitte«, sagte sie sehr leise.
»Nein«, antwortete er.
Eine Woche später fragte sie ihn wieder. Ich war nicht dabei, aber Jane Seymour erzählte mir mit schreckgeweiteten Augen, daß die Königin sich behauptet hatte, während der König vor Wut tobte. »Wie konnte sie es wagen?« fragte sie.
»Für ihr Kind«, antwortete ich bitter. Ich schaute in Janes junges Gesicht, und mir fiel ein, daß ich vor der Geburt meines |378| Sohnes genauso töricht gewesen war. »Sie will bei ihrer Tochter sein«, meinte ich. »Das versteht Ihr nicht.«
Erst als die Ärzte verkündeten, die Prinzessin sei dem Tode nah und frage jeden Tag nach ihrer Mutter, entließ Henry die Königin. Er befahl, Prinzessin Mary solle mit der Sänfte in den Richmond Palace gebracht werden und die Königin könne sie dort besuchen. Ich ging mit in den Stallhof, um sie zu verabschieden.
»Gott segne Eure Majestät und die Prinzessin.«
»Zumindest kann ich bei ihr sein«, war alles, was sie antwortete.
Ich nickte, trat einen Schritt zurück, und der Reitertrupp zog an mir vorüber: voran die Fahne der Königin, danach ein halbes Dutzend Berittene, die Königin und einige ihrer Damen, dann die Nachhut.
Auf der anderen Seite des Stallhofs stand William Stafford und beobachtete mich, wie ich ihr zum Abschied winkte.
»Nun kann sie endlich doch ihre Tochter sehen.« Er kam zu mir herübergeschlendert. »Man sagt, Eure Schwester schwört, die Königin werde niemals mehr zum Hof zurückkehren. Die Königin sei so vernarrt in ihre Tochter, daß sie für diesen Besuch mit einem einzigen Ritt ein Königreich verloren habe.«
»Das weiß ich nicht, wie immer«, meinte ich störrisch.
Er lachte, und seine braunen Augen strahlten mich an. »Ihr seid heute aber sehr unwissend. Freut Euch der hohe Rang Eurer Schwester nicht?«
»Nicht zu diesem Preis«, erwiderte ich knapp und wandte mich ab.
Ich hatte kaum ein halbes Dutzend Schritte gemacht, als er schon wieder an meiner Seite war. »Und was ist mich Euch, Lady Carey? Ich habe Euch seit Tagen nicht mehr gesehen. Haltet Ihr je Ausschau nach mir?«
Ich zögerte. »Natürlich nicht.«
»Das erwarte ich auch nicht«, meinte er mit plötzlichem Ernst. »Ich scherze vielleicht mit Euch, Madam. Aber ich weiß sehr wohl, daß Ihr weit über mir steht.«
»Das stimmt«, erwiderte ich wenig freundlich.
|379| »Aber ich dachte, wir könnten einander gut leiden.«
»Ich kann mit Euch nicht derlei Spielchen treiben«, erwiderte ich sanft. »Natürlich halte ich nicht nach Euch Ausschau. Ihr steht in den Diensten meines Onkels, und ich bin die Tochter des Grafen von Wiltshire …«
»Eine recht neue Ehre«, ergänzte er leise.
Ich runzelte die Stirn. »Ob es nun eine neue Ehre ist oder eine hundert Jahre alte, das ist unwesentlich«, sagte ich. »Ich bin die Tochter eines Grafen, und Ihr seid ein Niemand.«
»Aber was ist mit Euch, Mary? Von allen Titeln abgesehen? Haltet Ihr, Mary, die hübsche Mary Boleyn, je nach mir Ausschau? Denkt Ihr nie an mich?«
»Niemals«, erwiderte ich geradeheraus und ließ ihn im Torbogen des Stallhofs stehen.
|380| Sommer 1531
Der Hof zog nach Windsor um, und die Königin brachte Prinzessin Mary, die immer noch sehr blaß und dünn war, mit zurück ins Schloß. Dem König blieb nichts anderes übrig, als sich seinem einzigen ehelichen Kind zärtlich zu widmen. Henrys Haltung gegenüber seiner Ehefrau änderte sich ständig, je nachdem, ob er bei meiner Schwester war oder am Krankenbett seiner Tochter weilte. Die Königin, die Tag und Nacht gebetet und für die Prinzessin gesorgt hatte, war es nie müde, ihn mit einem Lächeln und einem Knicks zu begrüßen. Sie sollte den Rest des Sommers mit der Prinzessin in Windsor verbringen.
Als ich mit einem Rosenstrauß ins Zimmer trat, lächelte sie mir zu. »Ich dachte, Prinzessin Mary hätte vielleicht gern Blumen am Bett«, sagte ich. »Sie duften so süß.«
Königin Katherine nahm sie mir ab und roch daran. »Ihr seid
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