Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
lächelte.
»Es geht ihm gut«, sagte sie. »Er hat gerade Peter furchtbar verflucht, weil er ihn mit einer Gürtelschnalle gezwickt hat.«
Henry lachte. »Gott sei gepriesen!«
Zwei Männer kamen mit einer Trage gerannt. Suffolk setzte sich auf. »Ich kann selbst laufen«, sagte er. »Ich will verdammt sein, wenn ich vom Feld getragen werde, ehe ich tot bin.«
»Hier«, sagte Henry und half ihm auf die Beine. Ein zweiter Mann eilte herbei, und die beiden stützten den Herzog, der mit schweren Schritten vom Platz taumelte.
»Kommt besser nicht mit«, rief Henry seiner Schwester über die Schulter zu. »Wenn es ihm etwas besser geht, suchen wir einen Wagen oder etwas Ähnliches, mit dem wir ihn nach Hause bringen können.«
Sie blieb stehen, wie er ihr angeraten hatte. Der Page des Königs rannte mit meinem Halstuch in der Hand auf Henry zu. Königin Mary streckte die Hand aus. »Belästigt ihn jetzt nicht«, fuhr sie ihn an.
Der Junge kam schlitternd zum Stehen. Er hielt ihr mein Tuch hin. »Das hier hat er fallen lassen, Eure Majestät«, sagte er. »Er hatte es unter seinem Brustharnisch.«
Gleichgültig streckte Königin Mary die Hand nach dem |54| Tuch aus, und er gab es ihr. Sie blickte ihrem Bruder nach, der ihren Ehemann stützte und ins Haus geleitete. Sir John Lovick war ihnen vorausgeeilt. Er hielt ihnen nun die Türen auf und rief nach der Dienerschaft. In Gedanken versunken, ging Königin Mary zum Pavillon der Königin zurück. Mein Halstuch hatte sie immer noch in der Hand. Ich trat vor, um es ihr abzunehmen, zögerte aber, weil ich nicht wußte, was ich sagen sollte.
»Geht es ihm gut?« fragte Königin Katherine.
Königin Mary rang sich ein Lächeln ab. »Ja. Er ist klar im Kopf und hat sich nichts gebrochen. Der Brustharnisch ist kaum verbeult.«
»Ist das für mich?« fragte Königin Katherine.
Königin Mary schaute auf das zerknüllte Halstuch. »Das! Der Page des Königs hat es mir gegeben. Es war in seinem Brustharnisch«, sagte sie und reichte es der Königin. Sie hatte für nichts Augen und Ohren außer für ihren Ehemann. »Ich gehe jetzt zu ihm«, verkündete sie. »Anne, Ihr und die anderen, ihr könnt nach dem Abendessen die Königin nach Hause begleiten.«
Die Königin nickte zustimmend, und Königin Mary eilte aus dem Zelt und auf das Haus zu. Königin Katherine schaute ihr nach, mein Halstuch hatte sie immer noch in der Hand. Langsam, wie ich es nicht anders erwartet hatte, ließ sie die feine Seide durch die Finger gleiten. Am Fransensaum sah sie das leuchtende Grün des eingestickten Monogramms: MB. Sie wandte sich zu mir.
»Ich glaube, das gehört Euch«, sagte sie leise und voller Verachtung. Sie hielt mir das Tuch am ausgestreckten Arm hin.
»Los, geh«, flüsterte Anne. »Du mußt es holen.« Sie knuffte mich in den Rücken.
Die Königin ließ das Tuch fallen, ehe ich ganz bei ihr angekommen war. Ich konnte es gerade noch auffangen, bevor es zu Boden fiel. Es sah aus wie ein trauriger Lappen, mit dem man den Boden aufwischt.
»Vielen Dank«, murmelte ich untertänig.
|55| Beim Abendessen blickte mich der König kaum an. Der Unfall hatte ihn melancholisch gemacht. Solche plötzlichen Stimmungsumschwünge waren auch für seinen Vater typisch gewesen. Henrys Höflinge hatten sie zu fürchten gelernt.
Die Königin hätte kaum freundlicher und unterhaltsamer sein können. Doch keine Unterhaltung, kein bezauberndes Lächeln, keine Musik konnte die Laune des Königs aufhellen. Die Königin war ja einer der Gründe für seine üble Stimmung. Er betrachtete sie, eine Frau, die den Wechseljahren nahe war, und ihm schien es, als blickte ihr der Tod bereits über die Schulter. Die Königin wurde alt, und immer noch hatte sie ihm keinen Erben geboren. Sie mochten den lieben langen Tag Zweikämpfe ausfechten und singen und tanzen und spielen, doch wenn der König nicht einen Sohn als Prinzen von Wales einsetzte, dann hatte er seine größte und vornehmste Pflicht dem Königreich gegenüber nicht erfüllt. Ein Bankert von Bessie Blount war einfach nicht genug.
»Sicher geht es Charles Brandon schon bald wieder gut«, meinte die Königin. Auf dem Tisch standen Zuckerpflaumen und ein schwerer Süßwein bereit. Sie trank einen Schluck, würde ihn jedoch, so überlegte ich, wohl kaum genießen, solange ihr Ehemann mit finsterer Miene neben ihr saß. »Denkt nicht, daß Ihr Schuld daran tragt, Henry. Es war ein fairer Zweikampf. Und Ihr habt weiß Gott auch schon von ihm genug
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