Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
ging unten einen Krug heißes Würzbier holen. Es schneite immer noch. Ich konnte vom Bett aus die weißen Flocken vor dem dunkleren Himmel tanzen sehen. Ich kuschelte mich in die Wärme, lehnte mich in meine Kissen aus Gänsedaunen und wußte, daß mich das Schicksal reich beschenkt hatte.
|542| Frühling 1535
Liebe Schwester,
unsere Schwester, die Königin, hat mir befohlen, Dir mitzuteilen, daß sie erneut schwanger ist und Du zum Hof zurückkehren und ihr helfen sollst, daß aber Dein Mann in Rochford zu bleiben hat, ebenso das Kind. Sie will die beiden auf keinen Fall sehen. Du bekommst Deine Rente wieder, und vielleicht darfst Du im Sommer Deine Kinder in Hever besuchen.
All das soll ich Dir übermitteln, und ich füge noch hinzu, daß wir Dich in Hampton Court brauchen. Anne erwartet ihre Niederkunft im Herbst. Wir werden diesen Sommer auf Staatsreise gehen, wenn auch nicht sehr weit. Anne will Dich unbedingt um sich haben, weil sie verzweifelt bemüht ist, dieses Kind auszutragen, wie Du Dir wohl denken kannst. Sie braucht eine Freundin bei Hof, genau wie ich auch. Sie ist wohl im Augenblick die einsamste Frau der Welt. Der König ist völlig vernarrt in Madge, die jeden Tag mit einem neuen Gewand herumstolziert. Onkel hat unlängst einen Familienrat zusammengerufen, zu dem weder ich noch Vater noch Mutter eingeladen waren, die Sheltons allerdings sehr wohl. Ich überlasse es Deiner Phantasie, Dir vorzustellen, was Anne und ich uns dabei gedacht haben. Anne ist immer noch Königin, aber nicht mehr die Favoritin, weder beim König und noch bei ihrer eigenen Familie.
Ich muß Dich noch vor etwas warnen, ehe Du hier eintriffst. In der Stadt herrscht große Unruhe. Der Erbfolgeschwur hat fünf gute Männer in den Tower und aufs Schafott gebracht, und es könnten noch mehr werden. Henry hat gemerkt, daß seine Macht grenzenlos ist, nun, da weder Wolsey noch Königin Katherine noch Thomas More mehr mäßigend auf ihn einwirken. Bei Hof geht es viel zügelloser zu, als Du es gewohnt bist. Ich war an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt, und jetzt widert es mich
|543|
an. Alles ist außer Rand und Band, und ich weiß nicht, wie ich davon loskommen soll. Der Hof, an den ich Dich bitte, ist kein glücklicher Ort. Nein, ich bitte Dich nicht, ich flehe Dich an.
Als Köder verspreche ich Dir einen Sommer mit Deinen Kindern, wenn es Anne gut genug geht, daß Du sie allein lassen kannst.
George
Ich trug den Brief mit dem schweren Siegel der Boleyns zu meinem Mann, der gerade draußen eine Kuh melkte.
»Gute Neuigkeiten?« fragte er, als er mein strahlendes Gesicht sah.
»Ich darf zum Hof zurück. Anne ist wieder schwanger und will mich um sich haben.«
»Und deine Kinder?«
»Ich darf sie im Sommer besuchen, falls sie mich nicht braucht.«
»Gott sei Dank«, sagte er schlicht. Als er seinen Kopf mit geschlossenen Augen kurz an die Flanke der Kuh lehnte, war mir auf einmal klar, wie sehr er mit mir um den Verlust meiner Kinder gelitten hatte.
»Vergibt man auch mir?« fragte er nach einer Weile.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich denke, du könntest einfach mitkommen.«
»Ich würde das Gut nicht gern wieder so lange verlassen.«
Ich lachte. »Bist schon ein richtiger Bauer geworden, mein Liebster?«
»Hm«, erwiderte er. Er stand vom Melkschemel auf und tätschelte die Kuh. »Ich komme mit dir zum Hof, ob sie es erlauben oder nicht. Und im Sommer kehren wir hierher zurück.«
»Erst reiten wir nach Hever«, beschloß ich.
Er lächelte mich an und legte seine warme Hand auf die meine. »Natürlich erst nach Hever«, sagte er. »Wann soll das Kind der Königin geboren werden?«
»Im Herbst. Aber es weiß noch niemand davon.«
»Gebe Gott, daß sie es diesmal austragen kann.«
|544| Man schickte die königliche Barke, um mich nach Hampton Court zu holen. William, die Amme und ich stiegen in Leigh, großartig in unsere Hofgewänder gekleidet, an Bord. Unser eindrucksvoller Abgang wurde allerdings dadurch getrübt, daß mein Mann in letzter Minute noch allerlei Anweisungen für Megans Ehemann an Land brüllte, der während unserer Abwesenheit den Hof weiterführen würde.
»Ich bin sicher, er hätte nicht vergessen, die Schafe zu scheren«, meinte ich milde, als William endlich nicht mehr über die Reling hing und grölte.
Er grinste. »Es tut mir leid. Hab ich dich blamiert?«
»Nun, da du jetzt Mitglied der königlichen Familie bist, denke ich, du könntest dir bessere Manieren
Weitere Kostenlose Bücher