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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Gemächer der Königin. Als die Wachen die Tür öffneten und ich eintrat, herrschte einen Augenblick lang Totenstille, dann brandete ein Begeisterungssturm um mich auf. Alle Frauen kamen herbeigeeilt und merkten an, wie gut ich aussah, wie prächtig mir die Mutterschaft und die Landluft bekamen und wie wunderbar es sei, mich wiederzusehen. Jede einzelne war plötzlich meine liebste Freundin, meine zärtlichste Cousine, ich konnte mir aussuchen, welches Schlafgemach ich wünschte, alle wollten mit mir das Zimmer teilen. Sie waren so entzückt, mich wieder bei Hof zu begrüßen, daß ich mich verwundert fragte, wie sie es nur so lange ohne mich ausgehalten hatten, warum mir keine einzige je geschrieben hatte, warum sich keine einzige je bei Anne für mich verwendet hatte.
    War ich tatsächlich mit William Stafford verheiratet? Und hatte er wirklich ein Bauernhaus? Nur eines? Aber dafür doch |547| sicher ein großes? Nein? Wie merkwürdig! Und wir hatten ein Kind? Junge oder Mädchen? Und wer waren die Paten? Wie hieß die Kleine? Und wo waren William und das Kind jetzt? Bei Hof? Nein? Nun, wie seltsam!
    Ich wehrte die unzähligen Fragen mit allem Geschick ab, das ich aufbringen konnte, und schaute mich nach George um. Er war nicht da. Der König war spät ausgeritten und hatte nur eine Handvoll seiner trinkfesten, sattelfesten Kumpane mitgenommen, und sie waren noch nicht wieder zurück. Die Damen hatten sich bereits zum Abendessen umgezogen und erwarteten die Rückkehr der Herren. Anne war allein in ihrem Privatgemach.
    Ich nahm mein Herz in beide Hände und ging zur Tür. Ich klopfte an, drückte die Klinke herunter und trat ein.
    Das Zimmer lag in tiefem Schatten. Das einzige Licht kam von den Fenstern herein, außerdem erhellte der schwache, flackernde Schein eines kleinen Feuers den Raum. Anne kniete auf ihrem Betstuhl, und ich mußte einen Ausruf des Schreckens unterdrücken. Ich sah Königin Katherine vor meinem inneren Auge, die auf dem Betstuhl kniete und inbrünstig darum betete, daß sie ihrem Mann einen Sohn gebären, daß er sich von den Boleyn-Mädchen abwenden und zu ihr zurückkommen würde. Doch dann drehte sich die Geisterkönigin um, und es war Anne, meine Schwester, bleich und abgespannt, die Augen von Müdigkeit umschattet. Mitleid durchströmte mich, und ich eilte zu ihr und umarmte sie. »O Anne!«
    Sie erhob sich und legte die Arme um mich. Ihr Kopf fiel schwer auf meine Schulter. Sie sagte nicht, daß sie mich vermißt hatte, daß sie furchtbar allein war an diesem Hof, der seine Aufmerksamkeit von ihr abgewandt hatte. Aber das war auch gar nicht nötig. Ihre hängenden Schultern verrieten mir ohne Worte, daß das Leben als Königin Anne Boleyn im Augenblick keine reine Freude war.
    Sanft drückte ich sie in einen Sessel und setzte mich ihr gegenüber hin.
    »Geht es dir gut?« fragte ich und kam gleich zur Hauptsache.
    |548| »Ja«, antwortete sie. Ihre Unterlippe zitterte ein wenig. Ihr Gesicht war sehr blaß, und zu beiden Seiten des Mundes hatten sich Falten eingegraben. Zum ersten Mal bemerkte ich ihre Ähnlichkeit mit unserer Mutter. Ich konnte mir vorstellen, wie sie als alte Frau aussehen würde.
    »Keine Schmerzen?«
    »Nein.«
    »Du bist sehr blaß.«
    »Ich bin unendlich müde«, erwiderte sie. »Es raubt mir meine ganze Kraft.«
    »Im wievielten Monat bist du?«
    »Im vierten«, antwortete sie so rasch, wie nur eine Frau reagieren konnte, die an nichts anderes mehr denkt.
    »Dann geht es dir bald wieder besser«, meinte ich. »Die ersten drei Monate sind immer die schlimmsten.« Beinahe hätte ich noch hinzugefügt: »Und dann die letzten drei.« Aber für Anne war es kein Scherz, denn sie hatte ja erst ein Kind bis zu den letzten drei Monaten ausgetragen.
    »Ist der König zu Hause?« erkundigte sie sich.
    »Man sagt, daß er noch auf der Jagd ist und George mit ihm.«
    Sie nickte. »Ist Madge draußen bei den Hofdamen?«
    »Ja«, antwortete ich.
    »Und dieses bleiche Seymour-Mädel?«
    »Ja«, erwiderte ich, und mir war sofort klar, daß sie Jane Seymour meinte.
    Anne nickte. »Nun gut«, meinte sie. »Solange keine von den beiden mit ihm unterwegs ist, bin ich zufrieden.«
    »Du solltest auch so zufrieden sein«, ermahnte ich sie sanft. »Es ist nicht gut, derart viel Galle im Leib zu haben, wenn man ein Kind unter dem Herzen trägt.«
    Sie warf mir einen raschen Blick zu und lachte hart. »O ja, du bist sehr zufrieden. Ist dein Mann mitgekommen?«
    »Nicht zum Hof«,

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