Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Hättest Du einen Prinzen geheiratet und wärest unglücklich geworden, wäre sie Deine treueste Freundin geblieben. Ihr bricht es das Herz, daß Du Liebe gefunden hast, während sie am größten Hof Europas voller Angst und unglücklich lebt.
Ich werde täglich reicher, meine Frau ist mir ein Fluch, und mein Freund ist meine Wonne und meine Qual. Dieser Hof würde einen Heiligen vom rechten Weg abbringen, und weder Anne noch ich waren je Heilige. Sie ist verzweifelt einsam und fürchtet sich, und ich sehne mich nach etwas, das ich nicht bekommen darf, und bin gezwungen, meine Begierde zu verbergen. Ich bin müde und wütend, und diese Weihnachtszeit verspricht uns Boleyns nichts Gutes, es sei denn, Anne schafft es, wieder schwanger zu werden. Schreib mir von Dir. Ich hoffe, Du bist so glücklich, wie ich es mir ausmale.
Dein Bruder
George
William und ich feierten Weihnachten mit einem großen Wildbraten. Ich hütete mich, danach zu fragen, wo das Tier herkam. Der Wildpark meiner Familie bei Rochford Hall war gut bestückt und schlecht bewacht, und ich hegte keinen Zweifel, daß ich einen von meinen eigenen Hirschen gekauft hatte. Aber da mir weder Vater noch Mutter Weihnachtsgrüße geschickt hatten, genehmigte ich mir ein Weihnachtsgeschenk aus ihrem reichen Besitz und erwarb das Tier zu einem sehr günstigen Preis, ein Paar Fasane noch dazu. Wir unterbrachen zu Weihnachten die Arbeit auf dem Hof nicht für zwölf Tage, hatten aber Zeit, zur Christmette zu gehen, uns den Mummenschanz in Rochford anzusehen, mit unseren Nachbarn einen festlichen Weihnachtspunsch zu trinken und am Fluß entlangzuspazieren, während über unseren Köpfen die Möwen kreischten und ein kalter Wind vom Meer her wehte.
|540| In den eisengrauen Tagen des Februar bereitete ich mich auf meine Niederkunft vor. Ich war nun keine große Dame bei Hof mehr und mußte mich nicht einen ganzen Monat in meine Gemächer zurückziehen. Ich konnte tun, was ich wollte. William war aufgeregter als ich und bestand darauf, daß gegen Ende des Monats eine Hebamme zu uns ins Haus zog, damit wir nicht Gefahr liefen, etwa eingeschneit zu sein, wenn das Kind auf die Welt kommen wollte. Ich lachte über seine Befürchtungen, fügte mich aber. Und so zog eine alte Frau, mehr Hexe als Hebamme, bei uns ein.
Ich war sehr froh über Williams Fürsorge, als ich eines Morgens aufwachte und der Raum in strahlend weißes Licht getaucht war. Es hatte in der Nacht geschneit und schneite noch immer in dicken weißen Flocken, die leise vom grauen Himmel in den Hof wirbelten. Die Welt war völlig verändert – lautlos und verzaubert. Ich saß am Fenster, spürte, wie sich das Kind regte, und beobachtete, wie der Schnee gegen die Hecke gewirbelt wurde. Es sah aus, als tanzten die Flocken ums Haus, doch stündlich wurden die Berge und Täler der Schneewehen ringsum gewaltiger und bizarrer.
»Es geht los«, meinte William. Er hatte sich Sackleinen um die Beine und Stiefel gewickelt. Nun stand er in unserem kleinen Vorraum, löste die Bänder und schüttelte den Schnee ab. Ich kam langsam die Treppe herunter und lächelte ihn an. Als er mich sah, hielt er inne. »Geht es dir gut?« fragte er.
»Ich habe geträumt«, erwiderte ich. »Ich habe den ganzen Morgen den Schnee beobachtet.«
Er wechselte einen raschen Blick mit der Hebamme, die am Herd Porridge kochte, hüpfte dann auf nackten Füßen durch die Küche und zog mich auf einen Sessel beim Kamin. »Haben die Wehen eingesetzt?« fragte er.
Ich lächelte. »Noch nicht. Aber ich glaube, es wird heute kommen.«
Die Hebamme gab Porridge in eine große Schale und reichte sie mir. »Dann eßt«, ermunterte sie mich. »Wir brauchen heute alle viel Kraft.«
|541| Es war eine leichte Geburt. Schon nach vier Stunden Wehen kam mein kleines Mädchen zur Welt. Die Hebamme wickelte es in ein angewärmtes weißes Laken und legte es mir an die Brust. William, der in den vier Stunden keinen Augenblick von meiner Seite gewichen war, ließ seine Hand kurz auf dem kleinen, blutverschmierten Kopf ruhen und segnete das Kind mit vor Rührung bebender Stimme. Dann legte er sich neben mich auf das Bett. Die alte Frau warf uns eine Decke über, und wir schlummerten eng umschlungen ein.
Wir wachten erst auf, als das Kind sich zwei Stunden später regte und weinte. Ich legte mir dir Kleine an die Brust und verspürte das vertraute, wunderbare Gefühl, ein geliebtes Kind zu stillen. William breitete mir ein Tuch um die Schultern und
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