Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
sicher in der Scheune. Die älteren Schafe und Rinder sollten im Herbst geschlachtet werden, das Fleisch würden wir einsalzen oder räuchern. Wir hatten Hühner auf dem Hof, Tauben im Taubenschlag und einen unendlichen Vorrat an Fischen im Bach. Für wenig Geld konnten wir unten am Fluß bei den Fischern Meeresfische erwerben. Es war ein wohlhabender Bauernhof, auf dem es sich gut leben ließ.
Megan, die Mutter des kleinen Buben, kam jeden Tag zum Haus, um mir bei der Arbeit zu helfen und mir alles beizubringen, was ich lernen mußte. Sie zeigte mir, wie man Butter und Käse macht. Sie brachte mir bei, wie man Brot bäckt, Hühner, Tauben und Wildgeflügel rupft. Es hätte einfach und wunderbar sein sollen, so wichtige Fertigkeiten zu lernen. Mich erschöpfte es völlig.
Ich merkte, daß meine Hände trocken und rissig wurden. Ich sah in dem kleinen Spiegelscherben, wie Sonne und Wind |537| meine Haut allmählich gerbten. Jeden Abend fiel ich in traumlosen Schlaf, in den Schlaf einer Frau am Rande der Erschöpfung. Trotzdem hatte ich immer das Gefühl, etwas erreicht zu haben, wie wenig es auch war. Ich mochte diese Arbeit, die Essen auf den Tisch brachte oder unsere Ersparnisse mehrte. Ich mochte das Gefühl, daß wir miteinander etwas aufbauten, uns das Land untertan machten. Ich lernte gern, was alle armen Frauen von Kindesbeinen an können, und als Megan mich fragte, ob ich nicht meine feinen Kleider und Gewänder bei Hof vermißte, da erinnerte ich mich an die endlose Quälerei, immer mit Männern tanzen zu müssen, die ich nicht leiden konnte, mit Männern zu flirten, die mir gleichgültig waren, beim Kartenspiel ein kleines Vermögen zu verlieren und immer allen und jedem in meiner Umgebung alles recht machen zu müssen. Hier waren nur William und ich, und wir lebten so frei und fröhlich miteinander wie zwei Vögel in der Hecke – genau wie er es mir versprochen hatte.
Mein einziger Kummer war der Verlust meiner Kinder. Ich schrieb ihnen jede Woche. Einmal im Monat schickte ich einen Brief an George oder Anne, mit meinen besten Wünschen. Ich schrieb an den Sekretär Thomas Cromwell und bat ihn, sich bei meiner Schwester für mich zu verwenden und sie zu fragen, ob wir an den Hof zurückkehren dürften. Aber auf keinen Fall wollte ich mich für meine Wahl entschuldigen. Ich konnte nicht schreiben, daß es mir leid tat, daß ich William liebte, denn ich liebte ihn jeden Tag mehr. In einer Welt, in der Frauen wie Pferde gekauft und wieder verkauft werden, hatte ich einen Mann gefunden, den ich liebte. Und ich hatte aus Liebe geheiratet. Niemals würde ich sagen, daß das ein Fehler war.
|538| Winter 1534
Zu Weihnachten erhielt ich einen Brief von meinem Bruder George.
Liebe Schwester,
ich entbiete Dir weihnachtliche Grüße und hoffe, daß es Dir auf Deinem Bauernhof so wohl ergeht wie mir bei Hofe. Vielleicht besser.
Die Dinge haben sich hier für unsere Schwester nicht zum besten entwickelt. Der König reitet und tanzt jetzt mit einem Seymour-Mädchen – erinnerst Du Dich noch an Jane? Die immer so verschämt zu Boden blickt und die Augen so überrascht aufschlägt? Der König bemüht sich unter den Augen unserer Schwester um sie, und Anne ist nicht gerade erfreut darüber. Sie hat einige Stürme über sein Haupt entfesselt, aber sie bringt ihn damit nicht mehr zum Weinen wie früher. Er kann jetzt ihr Mißvergnügen ertragen, er geht einfach weg. Du kannst Dir vorstellen, wie dann ihre Laune ist.
Unser Onkel, den des Königs Streunen alarmiert hat, führt ihm immer wieder Madge Shelton vor, und gegenwärtig ist Seine Majestät zwischen diesen beiden Mädchen hin- und hergerissen. Da beide Hofdamen sind, herrscht in den Gemächern der Königin ständiger Aufruhr, und der König zieht es vor, recht viel auf die Jagd zu reiten und die Damen ungestört weinen, kreischen und einander angiften zu lassen.
Anne ist krank vor Angst. Sie hat wohl nie bedacht, daß nun, nachdem sie erst einmal eine Königin gestürzt hat, alle anderen auch gefährdet wären. Außer mir hat sie bei Hof keinen einzigen Freund. Vater, Mutter und Onkel befürworten alle, daß man dem König Madge zuführt, damit er sich von dem Seymour-Mädchen abwendet. Das mißfällt Anne sehr. Sie beschuldigt die
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Familie, man wolle sie durch ein neues Howard-Mädchen ersetzen. Du fehlst ihr, aber sie würde das niemals zugeben.
Ich rede von Dir, doch nichts, was ich ihr sagen kann, vermag sie mit Deiner Heirat zu versöhnen.
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