Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
zulegen als ein betrunkener Bauer am Markttag.«
Er zeigte keinerlei Reue. »Verzeihung, Lady Stafford«, erwiderte er. »Ich schwöre, sobald wir Hampton Court erreichen, bin ich die Diskretion in Person. Wo soll ich zum Beispiel schlafen? Wäre ein Heuboden in Eurem Stall bescheiden genug?«
»Ich dachte, wir mieten uns ein kleines Haus in der Stadt. Und ich verbringe jeden Tag die meiste Zeit dort.«
»Und gefälligst auch die Nächte«, ergänzte er mit Nachdruck. »Sonst komme ich in den Palast und hole dich. Du bist jetzt meine Frau, meine anerkannte Frau. Ich erwarte von dir, daß du dich auch so benimmst.«
Ich lächelte und wandte den Kopf ab, damit er die Belustigung auf meinem Gesicht nicht sah.
Die königliche Barke glitt sanft den Fluß hinauf, die Ruderer bewegten sich im Rhythmus der Trommel, und die Flut trug uns schnell voran. Die vertrauten Wahrzeichen tauchten auf, der große, quadratische weiße Turm und das weit offene Maul des Wassertors am Tower von London. Die Brücke spannte sich wie ein dunkler Schatten über den Fluß, ein Tor, das uns die Schönheit der Paläste am Ufer erschloß und die Gärten und all die aufgeregte Geschäftigkeit einer großen Wasserstraße durch eine grandiose Stadt.
|545| Viele Menschen drehten sich nach der königlichen Barke um, aber kaum jemand lächelte. Ich erinnerte mich daran, wie es gewesen war, mit Königin Katherine auf dem Fluß zu fahren. Damals hatten die Leute die Hüte vom Kopf gezogen, wenn wir vorüberkamen, die Frauen hatten Knickse gemacht, und die Kinder hatten uns Handküsse zugeworfen und gewinkt. Die Menschen hatten darauf vertraut, daß der König weise und stark war, die Königin wunderschön und herzensgut und daß ihnen nichts Schlimmes widerfahren konnte. Aber Anne und der Ehrgeiz der Boleyns hatten einen großen Keil in diese Einmütigkeit getrieben. Man konnte nun sehen, daß der König kaum besser war als ein jämmerlicher Bürgermeister in einem wohlhabenden kleinen Städtchen, der nur seine Schäfchen ins trockene bringen will, und daß Henry mit einer Frau verheiratet war, die von Begierde, Ehrgeiz und Habsucht angetrieben wurde.
Falls Anne und Henry erwartet hatten, daß die Menschen ihnen vergeben würden, dann waren sie sicherlich sehr enttäuscht. Man würde ihnen niemals vergeben. Königin Katherine mochte so gut wie gefangen in den kalten Sümpfen von Huntingdonshire leben, aber man hatte sie nicht vergessen. Jeder Tag, an dem kein männlicher Erbe für den englischen Thron getauft wurde, machte ihre Verbannung sinnloser.
Ich lehnte mich an Williams Schulter und döste ein wenig vor mich hin. Nach einer Weile hörte ich unser Kind weinen und sah, wie die Amme meine kleine Anne, die ich nach ihrer Tante benannt hatte, eng an sich drückte und stillte. Meine Brüste schmerzten vor Sehnsucht, und ich spürte, wie William mich fester um die Taille packte und auf das Haar küßte. »Sie ist gut versorgt«, flüsterte er sanft. »Niemand wird sie dir wegnehmen.«
Ich nickte. Ich konnte zu jeder Tages- und Nachtstunde befehlen, daß man sie zu mir in den Palast brachte. Sie war auf eine Art mein Kind, wie es die beiden anderen nie gewesen waren. Es war sinnlos, William zu erklären, daß jeder Blick in ihre wachen blauen Augen nur den Schmerz um die beiden anderen, die ich verloren hatte, vergrößerte. Sie konnte sie nicht |546| ersetzen, sie erinnerte mich nur ständig daran, daß ich drei Kinder hatte, daß ich zwar dieses kleine warme Bündel im Arm hielt, aber meine beiden anderen Kinder sonstwo auf der Welt waren und ich nicht einmal wußte, wohin mein Sohn in der Nacht seinen Kopf bettete.
Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, als wir den Pier von Hampton Court und das große, schmiedeeiserne Tor dahinter erreichten. Der Trommler schlug einen Wirbel, und schon kamen Helfer gerannt, um das Boot festzumachen, und wir konnten an Land gehen. Zu Ehren der königlichen Standarte wurde eine Fanfare gespielt, dann waren William und ich wieder bei Hof.
Diskret verschwanden mein Mann, mein Kind und die Amme über den Treidelpfad in Richtung Dorf, und ich betrat allein den Palast. William hatte mir kurz die Hand gedrückt, ehe er aufbrach. »Sei tapfer«, ermunterte er mich lächelnd. »Vergiß nicht, sie braucht dich jetzt. Verkaufe deine Dienste nicht unter Wert.«
Ich nickte, raffte meinen Umhang um mich und ging auf den Palast zu.
Man führte mich herein, als sei ich eine Fremde, die große Treppe hinauf in die
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