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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Tratsch zu stellen.
    |609| Unsere Familie war vollzählig zu ihrer Unterstützung erschienen. Daraus schloß ich, daß mein Onkel genug gehört hatte, um sich zu fürchten. Meine Mutter war da, ebenso mein Vater. Mein Onkel plauderte hinten im Raum freundlich mit Jane Seymour, was mich einen kleinen Augenblick stutzig machte. George stand an der Schwelle. Er lächelte und eilte dann auf Anne zu, um sie bei der Hand zu nehmen. Leises Gemurmel erhob sich über ihr wunderschönes Gewand und ihr trotziges Lächeln. Schließlich kam Henry mit dem Rest des Hofstaats ins Zimmer gestampft. Das lahme Bein machte seinen Gang unbeholfen, sein rundes Gesicht war von neuen Linien des Schmerzes durchfurcht. Er nickte Anne mürrisch zu.
    »Guten Abend, Madam«, grüßte er sie. »Seid Ihr bereit, zu Tisch zu gehen?«
    »Natürlich, lieber Mann«, antwortete sie honigsüß. »Ich bin froh, Majestät bei so guter Gesundheit zu sehen.«
    Ihre Fähigkeit, blitzschnell von einer Laune zur anderen umzuschalten, verdutzte ihn immer wieder. Er hielt inne, als er ihre gute Stimmung bemerkte, und schaute sich unter den eifrigen Gesichtern seiner Höflinge um. »Habt Ihr schon Sir John Seymour begrüßt?« fragte er sie und wählte den einzigen Mann aus, den sie bestimmt nicht ehren wollte.
    Annes Lächeln wich keine Sekunde von ihrem Gesicht. »Guten Abend, Sir John«, sagte sie so sanft wie seine eigene Tochter. »Ich hoffe, Ihr nehmt ein kleines Geschenk von mir an.«
    Er verneigte sich ein wenig verlegen. »Es wäre mir eine Ehre, Majestät.«
    »Ich möchte Euch einen geschnitzten Schemel geben, aus meinen Privatgemächern. Ein hübsches kleines Stück aus Frankreich. Ich hoffe, es gefällt Euch.«
    Er verneigte sich noch einmal. »Ich danke Euch.«
    Anne warf ihrem Mann einen Blick aus dem Augenwinkel zu. »Er ist für Eure Tochter«, sagte sie. »Für Jane. Als Sitzgelegenheit. Sie scheint keine eigene zu haben und muß sich meine ausleihen.«
    Einen Augenblick lang herrschte betroffenes Schweigen, |610| dann brüllte Henry vor Lachen los. Sofort hatte der gesamte Hof begriffen, daß man lachen durfte, und das Gemach der Königin hallte wider vor Heiterkeit über den Scherz, den sie auf Janes Kosten gemacht hatte. Henry bot Anne, immer noch höchst erheitert, den Arm, und sie blinzelte schelmisch zu ihm auf. Er wollte sie gerade aus dem Gemach führen, als ich einen unterdrückten Schrei hörte: »Mein Gott! Die Königin!«
    George bahnte sich einen Weg durch die Menge, packte Anne bei der Hand und zog sie von Henry weg. »Verzeiht, Majestät, der Königin ist übel«, hörte ich ihn rasch sagen. Dann neigte er sich zu Anne und flüsterte ihr mit dringlicher Miene etwas ins Ohr. Zwischen neugierig zu ihnen gereckten Gesichtern hindurch sah ich, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Sie drängte sich durch die Menschenmenge. George eilte vor ihr her, um ihr die Tür zu ihrem Privatgemach zu öffnen und sie hineinzuziehen. Die Höflinge verrenkten sich die Hälse. Ich erhaschte einen Blick auf Annes Kleid. Auf dem Rock leuchtete ein scharlachroter Fleck! Sie blutete. Sie verlor das Kind.
    Ich stürzte mich durch die dichtgedrängten Menschen, um ihr in ihr Gemach zu folgen. Meine Mutter rannte hinter mir her und schlug die Tür vor den neugierigen Gesichtern zu, vor dem König, der immer noch nicht recht begriffen hatte, wo Anne und ihre Familie so plötzlich verschwunden waren.
    Anne stand George gegenüber, zerrte an ihrem Kleid, um den Fleck sehen zu können. »Ich habe überhaupt nichts gemerkt.«
    »Ich hole einen Arzt«, sagte er und wandte sich zur Tür.
    »Kein Wort!« warnte ihn meine Mutter.
    »Kein Wort!« rief ich aus. »Alle haben es gesehen! Auch der König!«
    »Es könnte noch alles gut gehen. Leg dich hin, Anne.«
    Anne ging langsam zum Bett, ihr Gesicht war so weiß wie ihre Haube. »Ich spüre gar nichts«, wiederholte sie.
    »Dann ist vielleicht auch nichts geschehen«, sagte meine Mutter. »Nur ein kleines Fleckchen.«
    |611| Sie bedeutete den Zofen mit einem Kopfnicken, Anne aus den Schuhen und Strümpfen zu helfen. Sie drehten sie auf die Seite und schnürten ihr das Mieder auf. Sie zogen ihr vorsichtig das wunderschöne weiße Kleid mit dem großen roten Fleck aus. Auch ihre Unterröcke waren blutgetränkt. Ich schaute meine Mutter an.
    »Vielleicht geht noch alles gut«, meinte sie unsicher.
    Ich trat zu Anne und ergriff ihre Hand. Unsere Mutter würde sie nicht einmal berühren, wenn sie auf dem Totenbett

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