Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
und seiner neuen hübschen Favoritin folgten, befand sich meine ganze Familie, Vater, Mutter, Onkel und Bruder, |621| die alle um die Gunst des Königs wetteiferten, während William und ich bei unseren Kindern ritten. Catherine wirkte still und verschlossen. Sie blickte zum Palast zurück und sah dann zu mir auf.
»Was ist?« fragte ich.
»Es scheint mir nicht richtig, ohne die Königin aufzubrechen«, antwortete sie.
»Sie gesellt sich später zu uns, wenn es ihr wieder gut geht«, tröstete ich sie.
»Weißt du, wo Jane Seymour in Greenwich ihre Gemächer haben wird?« fragte sie mich.
Ich schüttelte den Kopf. »Teilt sie sich nicht ein Gemach mit einem anderen Seymour-Mädchen?«
»Nein«, erwiderte meine Tochter knapp. »Sie sagt, der König wird ihr wunderschöne eigene Gemächer zur Verfügung stellen und ihre eigenen Hofdamen. Damit sie ihre Musik üben kann.«
Ich wollte Catherine nicht glauben, aber sie hatte recht. Es wurde verkündet, daß Sekretär Cromwell höchstpersönlich seine Gemächer in Greenwich geräumt hätte, damit Mistress Seymour zur Laute trällern konnte, ohne die anderen Damen zu stören. Tatsächlich gab es von Cromwells Räumen einen Geheimgang zum Privatgemach des Königs. Jane hatte sich in Greenwich eingenistet wie seinerzeit Anne, als Rivalin in eigenen Räumen und mit eigenem Hofstaat.
Sobald sich der Hof eingerichtet hatte, traf sich eine kleine Gruppe von Seymours in Janes großartigen neuen Gemächern zu Unterhaltung und Tanz, und auch die Hofdamen der Königin, die gerade keine Königin zu bedienen hatten, fanden den Weg in Janes Räume. Der König hielt sich ständig dort auf, redete, las, hörte Musik oder Gedichte. Er speiste zwanglos mit Jane, entweder in seinen oder ihren Gemächern. Mit am Tisch saßen Seymours, lachten über seine Scherze oder unterhielten ihn mit Glücksspiel. Oder er führte Jane im Großen Saal zu Tisch und setzte sie in seine Nähe, und nur ein leerer Thron erinnerte noch daran, daß es eine Königin von England gab, |622| die in einem verwaisten Palast zurückgeblieben war. Manchmal, wenn ich sah, wie sich Jane vorlehnte, um über den leeren Platz meiner Schwester hinweg etwas zu Henry zu sagen, hatte ich das Gefühl, als hätte es Anne nie gegeben und als könnte nichts Jane daran hindern, von ihrem Stuhl auf den nächsten zu rutschen.
Sie behielt ihre lieblich-süße Art Henry gegenüber unverändert bei, war unerschütterlich liebenswert, ganz gleich, ob er schlechte Laune hatte, weil ihn sein Bein schmerzte, oder ob er sich wie ein kleiner Junge diebisch über ein erlegtes Wild freute. Sie war immer ungeheuer ruhig, zeigte stets ihre Frömmigkeit – oft fand er sie auf Knien auf ihrem kleinen Betschemel, die Hände um den Rosenkranz gefaltet, den Kopf gen Himmel erhoben –, und immer war sie unendlich demütig.
Sie schaffte die französische Haube ab, den eleganten Kopfputz, den Anne bei Hof eingeführt hatte, und kehrte zur breit ausladenden spanischen Haube von Königin Katherine zurück, legte die Haube an wie eine Nonne ihren Schleier – um ihre Verachtung für weltlichen Tand zum Ausdruck zu bringen. Doch sie trug ihre Hauben in zartblau, lindgrün oder hellgelb: zarte, klare Farben, als sei alles um sie herum wie sie: lieblich und mild.
Mir wurde klar, daß sie auf dem besten Wege war, den Platz meiner Schwester einzunehmen, als Madge Shelton, unsere wollüstige kleine Madge, zum Abendessen mit einer zartblauen Haube auftauchte und dazu ein hochgeschlossenes, farblich passendes Gewand trug. Binnen weniger Tage trugen alle Frauen bei Hof spanische Hauben und schritten nur noch mit gesenktem Blick einher.
Im Februar gesellte sich Anne zu uns, ritt mit großem Gepränge bei Hof ein: Die königliche Standarte flatterte über ihrem Kopf, hinter ihr folgten die Standarte der Boleyn und ein großes Heer livrierter Diener und Herren zu Pferd. George und ich erwarteten sie auf der Treppe. Hinter uns stand die große, zweiflügelige Tür weit offen, und Henry war nicht zu ihrem Empfang erschienen.
|623| »Erzählst du ihr von Janes Gemächern?« fragte mich George.
»Ich nicht«, antwortete ich. »Das kannst du machen.«
»Francis meint, ich sollte es ihr in aller Öffentlichkeit sagen. Vor dem Hofstaat wird sie ihr Temperament zügeln.«
»Du sprichst mit Francis über die Königin?«
»Du sprichst doch auch mit William.«
»Er ist mein Ehemann.«
George nickte und schaute auf die ersten Herren in Annes Gefolge, die
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