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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Fenster, hinter dem die Stallknechte schliefen. Der erste Junge, der seinen Kopf herausstreckte, bekam den Auftrag, meine Stute aus dem Stall zu holen und zu satteln. Doch als er Catherines Jagdpferd herausgeholt hatte, blieb er stehen und schüttelte den Kopf. »Hat ein Hufeisen verloren«, meinte er.
    »Was?«
    »Ich muß sie zum Schmied führen.«
    »Könnt Ihr das jetzt gleich tun?«
    »Die Schmiede hat bestimmt noch nicht geöffnet.«
    »Sagt dem Schmied, daß er sie aufmachen soll!«
    »Mistress, das Feuer ist morgens noch kalt. Er muß es erst anzünden und warten, bis es heiß genug ist, dann kann er das Pferd beschlagen.«
    Ich schimpfte wütend vor mich hin. »Ihr könntet ein anderes Pferd nehmen«, schlug er mir gähnend vor.
    Ich schüttelte den Kopf. Es war ein langer Ritt, und Catherine saß noch nicht fest genug im Sattel, um mit einem neuen Pferd fertig zu werden. »Nein«, antwortete ich. »Wir müssen warten, bis diese Stute reisebereit ist. Nehmt sie mit zum Schmied, weckt den Mann und laßt ihn das Pferd beschlagen. Dann kommt mich holen, wo immer ich auch sein mag, und |655| sagt mir leise, daß sie bereit ist. Und verkündet es auf keinen Fall dem ganzen übrigen Palast.« Ich schaute ängstlich zu den dunklen Fenstern hinauf. »Ich will nicht, daß alle Narren auf der großen weiten Welt wissen, daß ich heute ausreite.«
    Er zupfte an seiner Stirnlocke und streckte mir fordernd die Hand hin. Ich ließ eine Münze aus meiner Tasche in seine schmutzige Handfläche gleiten. »Ihr bekommt noch eine, wenn Ihr Euren Auftrag gut ausgeführt habt.«
    Ich ging in den Palast zurück. Der Wachtposten am Tor fragte sich wohl, was ich vorhatte, da ich im Morgengrauen schon wieder von draußen hereinkam. Ich wußte, er würde irgend jemandem Bericht erstatten: Sekretär Cromwell, vielleicht meinem Onkel oder Sir John Seymour, der inzwischen so hoch aufgestiegen war, daß er sicherlich auch überall seine Spione hatte.
    Auf der Treppe zögerte ich. Ich wollte zu Catherine gehen, die in meinem großen Bett schlummerte. Doch unter der Tür zu den Gemächern der Königin war Kerzenschein zu sehen, und ich hatte das Gefühl, daß ich zur Nachtwache meiner Schwester und meines Bruders gehörte. Der Posten machte einen Schritt zur Seite, und ich öffnete die Tür und schlüpfte ins Zimmer.
    Sie waren immer noch wach, saßen eng nebeneinander im Feuerschein, flüsterten einander tröstende Worte zu. Sie wandten beide den Kopf, als sie mich kommen hörten.
    »Du bist noch nicht fort?« fragte Anne.
    »Catherines Pferd hat ein Hufeisen verloren. Ich konnte nicht weg.«
    »Wann reitet ihr los?« wollte George wissen.
    »Sobald die Stute beschlagen ist. Ich habe einen Jungen dafür bezahlt, daß er mit ihr zum Schmied geht und mir Bescheid gibt, sobald sie reisefertig ist.«
    Ich setzte mich zu ihnen auf den Teppich vor dem Kamin. »Ich wünschte, wir könnten immer so hier bleiben, immer und alle Zeit«, meinte Anne verträumt.
    »Wirklich?« Ich war überrascht. »Für mich war dies wohl die schlimmste Nacht meines Lebens. Hoffentlich ist sie bald zu Ende, und ich wache aus diesem Albtraum auf.«
    |656| Georges Lächeln war düster. »So kannst du nur denken, weil du dich nicht vor morgen fürchtest«, meinte er. »Wenn du so viel Angst vor morgen hättest wie wir, dann würdest du dir wünschen, daß diese Nacht ewig währte.«
     
    Trotzdem wurde es immer heller. Wir hörten, wie sich unten im Großen Saal die Bediensteten regten. Eine Zofe kam mit einem Eimer voller Holzscheite, um im Schlafzimmer der Königin das Feuer anzuschüren. Ihr auf dem Fuße folgte eine andere mit Besen und Tüchern, um die Tische für den neuen Tag zu rüsten.
    Anne erhob sich vom Teppich, das Gesicht bleich, die Wangen von Asche verschmiert.
    »Nimm ein Bad«, ermunterte sie George. »Es ist noch so früh. Laß dir ein heißes Bad bereiten und wasch dir das Haar. Dann fühlst du dich bestimmt viel besser.«
    Sie lächelte über diesen banalen Vorschlag, nickte aber schließlich.
    George küßte sie. »Ich sehe dich in der Frühmesse«, sagte er und verließ das Zimmer.
    Wir hatten unseren Bruder das letzte Mal als freien Mann gesehen.
     
    George erschien nicht zur Frühmesse. Anne und ich, rosig vom Bad und etwas selbstsicherer, hielten nach ihm Ausschau, aber er war nicht da. Sir Francis wußte nicht, wo er sich aufhielt, auch Sir William Brereton nicht. Henry Norris war noch nicht wieder aus London zurückgekehrt. Es gab keine

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