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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Bruder soll gegen Henry Norris reiten«, erklärte er und beobachtete sie genau.
    Anne zuckte die Achseln. »Und?« fragte sie.
    »Ihr werdet Euch kaum entscheiden können, wen Ihr in diesem Kampf unterstützen wollt.« Jedes seiner Worte war bedeutungsschwer, als müßte Anne wissen, wovon er redete.
    Anne schaute an ihm vorüber zu mir, als könnte ich ihr helfen. Ich zog die Augenbrauen in die Höhe. Ich wußte auch nicht, worauf er hinauswollte.
    |650| »Ich würde natürlich meinen Bruder unterstützen, wie das jede gute Schwester macht. Aber Sir Henry Norris ist auch ein sehr vornehmer Ritter.«
    »Vielleicht könnt Ihr Euch einfach zwischen den beiden nicht entscheiden«, vermutete der König.
    Ihr verwundertes Lächeln hatte etwas Jammervolles. »Nein, Sire. Welchen wolltet Ihr denn, daß ich unterstütze?«
    Sofort verfinsterte sich seine Miene. »Seid versichert, daß ich genau beobachten werde, für wen Ihr Euch entscheidet«, sagte er mit plötzlicher Boshaftigkeit und hinkte davon. Anne sah ihm wortlos nach.
     
    Der Nachmittag war schwül. Schwer lagen die Wolken über dem Palast, und auf dem Turnierplatz herrschte drückende Hitze. Jeden zweiten Augenblick schaute ich zur Straße nach London, ob William nicht schon zurückkehrte, obwohl ich wußte, daß er frühestens in zwei Tagen wieder hier sein konnte.
    Anne trug Silber und Weiß, hielt einen weißen Maienbuschen in der Hand, als hätte sie wie ein sorgloses Mädchen den Mai begrüßt. Die Ritter bereiteten sich auf das Turnier vor, ritten vor der königlichen Galerie im Kreis, die Helme unter dem Arm, lächelten empor zum König und zur Königin, die neben ihm saß, und zu ihren Hofdamen dahinter.
    »Kann ich Euch eine Wette anbieten?« fragte der König Anne.
    Ich bemerkte, wie sie über seinen vertrauten Ton erfreut lächelte.
    »O ja!« erwiderte sie.
    »Wen mögt Ihr im ersten Turniergang am liebsten?«
    Die gleiche Frage hatte er ihr schon in der Kapelle gestellt.
    »Ich setze auf meinen Bruder«, meinte sie lächelnd. »Wir Boleyns müssen zusammenhalten.«
    »Ich habe Norris mein eigenes Pferd geliehen«, warnte sie der König. »Ihr werdet feststellen, daß er der bessere Mann ist.«
    Sie lachte. »Dann gebe ich ihm ein Zeichen meiner Gunst |651| und setze mein Geld auf meinen Bruder. Würde das Eurer Majestät gefallen?«
    Er nickte und sagte nichts.
    Anne zog ein Taschentuch heraus, lehnte sich über die Brüstung der königlichen Galerie und winkte Sir Henry Norris herbei. Er ritt auf sie zu und senkte die Lanze zum Gruß. Sie streckte ihm das Taschentuch hin. Er hielt sein tänzelndes Pferd mit einer Hand am Zügel und nahm ihr das Taschentuch mit einer Bewegung von solcher Eleganz ab, daß die Damen auf der Galerie applaudierten. Dann steckte er das Tuch unter seinen Brustharnisch.
    Alle beobachteten Norris, nur ich richtete meine Augen auf den König. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, den ich noch nie gesehen, wohl aber wie einen Schatten geahnt hatte: Er schaute auf Anne, wie ein Mann einen Becher anschaut, aus dem er getrunken hat und den er nun an die Wand werfen wird. Wie ein Mann, der eines Hundes müde ist und ihn ertränken wird. Er war fertig mit meiner Schwester. Das konnte ich aus dieser Miene ablesen. Ich wußte nur noch nicht, wie er sie loswerden wollte.
    Donner grollte. Der König rief, man solle das Turnier beginnen. Mein Bruder gewann den ersten Turnierkampf, Norris den zweiten, mein Bruder den dritten. Er führte sein Pferd zurück zur Ausgangslinie, so daß der nächste Gegner seinen Platz einnehmen konnte. Anne stand auf, um ihm zu applaudieren.
    Der König saß reglos da und beobachtete Anne: In der Hitze des Nachmittags begann sein Bein übel zu riechen, aber er beachtete es nicht. Man bot ihm ein Getränk an, einige frühe Erdbeeren, ein paar kleine Kuchen. Das Turnier ging weiter. Anne wandte sich zu ihm um und lächelte ihn an, verwickelte ihn in ein Gespräch. Er saß neben ihr, als wäre er ihr Richter, als sei dies der Tag des Gerichts.
    Am Ende des Turniers erhob sich Anne, um die Preise zu überreichen. Ich sah nicht, wer gewonnen hatte, ich beobachtete nur den König, während Anne dem Sieger ihre kleine Hand zum Kuß hinstreckte. Henry erhob sich ächzend und |652| ging in den hinteren Teil der Galerie. Ich sah, wie er auf Henry Norris deutete und ihn zu sich winkte, als er gerade fortreiten wollte. Norris hatte seine Rüstung bereits abgelegt, saß aber immer noch auf seinem schwitzenden Pferd. Er

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