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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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machte kehrt und gesellte sich zum König.
    »Wohin geht der König?« fragte Anne und blickte sich um.
    Ich schaute zur Straße nach London und sehnte mich nach William. Da bemerkte ich die königliche Standarte, dahinter Henrys unverwechselbare, massige Gestalt hoch zu Pferd. Norris ritt neben ihm, dazu ein kleines Gefolge von Männern. Sie bewegten sich rasch nach Westen auf London zu.
    »Wohin ist er denn so hastig aufgebrochen?« fragte Anne unruhig. »Hat er überhaupt gesagt, daß er fort wollte?«
    Jane Parker trat vor. »Wußtet Ihr das denn nicht?« fragte sie freudestrahlend. »Sekretär Cromwell hatte die ganze Nacht hindurch den jungen Mark Smeaton in seinem Haus und hat ihn nun in den Tower überführt. Er hat dem König einen Boten mit dieser Nachricht geschickt. Vielleicht reitet der König jetzt zum Tower, um zu hören, was der Junge gestanden hat? Aber warum sollte er wohl Henry Norris mitnehmen?«
     
    George und ich saßen in Annes Gemächern wie Gefangene fest. Wir hockten in Totenstille da, hatten das Gefühl, von allen Seiten umzingelt zu sein.
    »Im ersten Morgengrauen verlasse ich euch«, sagte ich zu Anne. »Es tut mir leid, Anne, aber ich muß Catherine fortbringen.«
    »Wo ist William?« fragte George.
    »Er ist fortgeritten, um Henry von seinen Privatlehrern wegzuholen.«
    Bei diesen Worten hob Anne den Kopf. »Henry ist mein Mündel«, erinnerte sie mich. »Ohne meine Einwilligung kannst du ihn nicht mitnehmen.«
    Dieses eine Mal ließ ich mich von ihr nicht einschüchtern. »Um Gottes willen, Anne, laß mich ihn in Sicherheit bringen. Jetzt ist nicht die richtige Zeit für einen Streit zwischen dir und mir über Ansprüche auf meinen Jungen. Ich bringe ihn in |653| Sicherheit, und wenn ich Elizabeth beschützen kann, nehme ich auch sie in meine Obhut.«
    Sie hielt einen Augenblick inne, als wollte sie sogar in diesem Augenblick noch mit mir wetteifern, doch dann nickte sie. »Wollen wir Karten spielen?« fragte sie leichthin. »Ich kann nicht schlafen. Laßt uns die Nacht hindurch spielen.«
    »Gut. Ich möchte nur eben nachsehen, ob Catherine schon schläft.«
    Ich ging zu meiner Tochter. Sie war mit den anderen Hofdamen beim Abendessen gewesen und erzählte mir, daß der Hof nur so summte vor Klatschgeschichten. Der Thron des Königs war leer gewesen. Auch Cromwell hatte bei Tisch gefehlt. Niemand wußte, warum man Smeaton verhaftet hatte. Niemand wußte, warum der König mit Norris davongeritten war. Wenn es ein Zeichen besonderer Ehre war, wo waren sie dann heute abend? Wo speisten sie in dieser so besonderen ersten Mainacht?
    »Das ist nicht wichtig«, beendete ich ihre Spekulationen. »Ich möchte, daß du ein paar Dinge einpackst, ein sauberes Nachthemd, Strümpfe, und daß du morgen früh reisefertig bist.«
    »Sind wir in Gefahr?« Sie war nicht überrascht. Sie war inzwischen ein Kind des Hofes und würde nie mehr das unbekümmerte Landmädchen sein.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich knapp. »Ich möchte, daß du morgen kräftig genug bist, um den ganzen Tag zu reiten, also schlaf jetzt. Versprichst du mir das?«
    Sie nickte. Ich brachte sie in mein Bett und hieß sie ihr Haupt auf das Kissen legen, wo sonst William ruhte. Ich betete zu Gott, daß morgen William und Henry kämen und wir alle zusammen dorthin gehen konnten, wo der Apfelbaum sich über die Straße lehnte und der kleine Hof im Sonnenschein lag. Ich gab ihr einen Gutenachtkuß und schickte einen Pagen in unsere Unterkunft, um der Amme mitzuteilen, daß sie im Morgengrauen zum Aufbruch bereit sein mußte.
    Dann schlich ich mich wieder in die Gemächer der Königin. Anne saß zusammengesunken am Kamin, neben ihr kauerte |654| George auf dem Teppich, als sei ihnen beiden kalt, obwohl das Fenster offenstand und die warme, stickige Nachtluft kaum einmal die Vorhänge bewegte.
    »Boleyns«, sagte ich beim Eintreten.
    George drehte sich um, streckte einen Arm nach mir aus und zog mich neben sich, so daß er uns beide an sich drücken konnte.
    »Jede Wette, daß wir auch das überdauern«, sagte er tapfer. »Jede Wette, daß wir wieder aufstehen und alle beschämen und daß nächstes Jahr um diese Zeit Anne einen Knaben in der Wiege hat und ich Ritter des Hosenbandordens bin.«
     
    Die ganze Nacht saßen wir so zusammengekuschelt da wie Vagabunden, die sich vor den Gesetzeshütern fürchten. Als im Fenster der Tag zu grauen begann, ging ich leise die Treppe hinunter in den Stallhof und warf einen Stein an das

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