Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
gestellt, Schmerz in ihren Augen zu sehen, doch meine Boshaftigkeit wurde nicht belohnt. Annes Gesicht blieb kalt und hart. Sie sah aus, als hätte sie aufgehört, um ihn zu weinen, als würde sie nie wieder um einen Mann weinen.
»Nein«, antwortete sie. »Wenn sie dich fragen, kannst du ihnen mitteilen, daß ich seinen Namen kein einziges Mal erwähnt habe. Er hat aufgegeben, nicht wahr? Er hat eine andere geheiratet.«
»Er hat gedacht, daß du ihn aufgegeben hast«, protestierte ich.
Sie wandte den Kopf ab. »Wenn er ein echter Mann gewesen wäre, hätte er mich weitergeliebt«, sagte sie mit harscher Stimme. »Wäre es umgekehrt gewesen, ich hätte niemals einen anderen geheiratet, während mein Liebster noch ungebunden |179| war. Er hat aufgegeben, er hat mich fallenlassen. Ich werde ihm das niemals verzeihen. Für mich ist er gestorben. Mir ist es recht, wenn ich auch für ihn tot bin. Ich will nur eines, endlich aus dieser Gruft fort und zurück an den Hof. Mir ist nichts geblieben außer dem Ehrgeiz.«
Anne, Großmutter Boleyn, die kleine Catherine und ich richteten uns darauf ein, den Sommer notgedrungen miteinander zu verbringen. Sobald ich wieder bei Kräften war, stieg ich aufs Pferd und ritt an den Nachmittagen aus. Ich durchstreifte das ganze Tal und wagte mich bis hinauf in die Berge des Weald. Ich beobachtete, wie die Heuwiesen nach der ersten Mahd wieder grün und wie die Schafe mit der neuen Wolle weiß und flauschig wurden. Ich wünschte den Schnittern alles Gute zur Ernte, wenn sie in die Weizenfelder aufbrachen. Ich wünschte mir, der Sommer würde niemals enden. Ich wünschte mir, mein Kind würde immer so klein, so vollkommen, so anbetungswürdig bleiben. Ihre Augen waren inzwischen dunkler geworden, beinahe schwarz: Sie würde eine dunkeläugige Schönheit werden wie ihre temperamentvolle Tante. Catherine lächelte nun, wenn sie mich sah. Ich erprobte es immer und immer wieder und wurde sehr zornig auf Großmutter Boleyn, als die behauptete, ein Kleinkind sei blind bis zum zweiten oder dritten Lebensjahr, und ich würde nur meine Zeit verschwenden, wenn ich ständig über ihrer Wiege hinge und ihr vorsänge.
Der König schrieb mir einmal, schilderte die Jagd und die Beute, die er gemacht hatte. Es klang, als könnte kaum noch ein Stück Wild im New Forest übrig sein. Am Ende des Briefs teilte er mir mit, der Hof würde im Oktober nach Windsor zurückkehren und Weihnachten in Greenwich verbringen. Er würde mich dort erwarten, ohne meine Schwester und auch ohne mein Kind, dem er einen Kuß schickte. Da wußte ich, daß die Freuden des Sommers mit meiner Kleinen zu Ende waren, was immer ich mir auch wünschen mochte. Und daß für mich nun die Zeit gekommen war, mich wieder an die Arbeit zu machen.
|180| Winter 1524
Als ich nach Windsor kam, war der König bestens gelaunt. Die Jagd war gut verlaufen. Es gab Gerüchte über eine Tändelei mit einer der neuen Hofdamen der Königin, einer Margaret Shelton, einer Howard-Kusine von mir, die erst seit kurzem am Hof war.
Es gab unflätige Geschichten über Zechgelage, und den ganzen Sommer hatte man über einen jungen Pagen gescherzt, der sich in George vernarrt hatte und den man in Ungnade wieder nach Hause geschickt hatte. Alle Herren bei Hof hatten sich sehr darüber amüsiert. Der König selbst war bester Laune.
Als er mich sah, packte er mich, drückte mich heftig an sich und küßte mich leidenschaftlich vor dem gesamten Hofstaat. Gott sei Dank war die Königin nicht anwesend. »Mein Herz, ich habe Euch so vermißt«, rief er überschwenglich. »Sagt mir, daß Ihr mich auch vermißt habt.«
Ich mußte einfach zurücklächeln in sein strahlendes Gesicht. »Natürlich«, erwiderte ich. »Doch ich höre allerorten, daß Majestät sich bestens vergnügt haben.«
Die intimsten Freunde des Königs prusteten laut heraus, und er grinste einfältig. »Mein Herz hat sich Tag und Nacht nach Euch verzehrt«, erklärte er mit der ironischen Höflichkeit der Minne. »Ich habe mich im Finstern gequält. Und Euch geht es gut? Und unserem Kind?«
»Catherine ist wunderschön und wächst zu einem gesunden, starken Mädchen heran«, sagte ich und betonte provozierend ihren Namen. »Sie ist eine perfekte kleine Tudor-Rose.«
Mein Bruder trat vor, und der König ließ mich los, so daß George mich auf die Wange küssen konnte.
»Willkommen zurück am Hof, meine liebe Schwester«, sagte er fröhlich. »Und wie geht es der kleinen
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