Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Prinzessin?«
|181| Einen Augenblick lang herrschte bestürztes Schweigen. Henry gefror das Lächeln auf dem Gesicht. Ich starrte George in hellem Schrecken an. Er wandte sich blitzschnell dem König zu. »Ich nenne die kleine Catherine Prinzessin, weil sie von allen Seiten verhätschelt wird wie eine künftige Königin. Ihr solltet die Kleider sehen, die Mary für sie genäht und mit eigener Hand bestickt hat. Und die Laken, auf denen die kleine Kaiserin liegt! Sogar ihre Windeln tragen Initialen! Ihr würdet lachen, Majestät, wenn Ihr sie sehen könntet. Sie ist die Tyrannin von Hever, alles horcht auf ihr Kommando. Sie ist eine echte kleine Kardinalin, ja Päpstin der Kinderstube.«
Es war eine wundersame Errettung. Henry entspannte sich und mußte beim Gedanken an die Tyrannei der Kleinen lachen. Die Höflinge fielen unverzüglich in seine Heiterkeit ein.
»Verzieht Ihr sie wirklich so sehr?« fragte mich Henry.
»Sie ist mein erstes Kind«, entschuldigte ich mich. »Und ich will alle ihre Kleider für das nächste wiederverwenden.«
Es war die perfekte Antwort. Sogleich dachte Henry an das nächste Kind, und wir waren wieder einen Schritt weiter. »O ja«, meinte er. »Aber was wird die Prinzessin machen, wenn sie einen Rivalen in der Kinderstube hat?«
»Hoffentlich ist sie dann noch zu klein, um viel davon zu merken«, sagte George aalglatt. »Sie könnte ja noch vor Jahresfrist einen kleinen Bruder haben. Auch zwischen Mary und Anne liegen nur wenige Monate. Wir sind eine fruchtbare Familie.«
»O George, schäm dich«, mahnte meine Mutter lächelnd. »Aber ein kleiner Junge in Hever würde uns allen solche Freude bringen.«
»Mir auch«, erwiderte der König und blickte mich mit einem warmen Lächeln an. »Ein kleiner Junge würde mir große Freude bringen.«
Sobald mein Vater aus Frankreich zurückgekehrt war, wurde ein weiterer Familienrat zusammengerufen. Diesmal hatte man mir einen Stuhl vor den Tisch gerückt. Ich war kein |182| Mädchen mehr, dem man Anweisungen geben konnte. Ich war eine Frau, die die Gunst des Königs genoß.
»Sie wird wieder schwanger werden, und diesmal wird es ein Junge«, sagte mein Onkel leise. »Angenommen, die Königin hört auf ihr Gewissen und zieht sich zurück und gibt ihn frei, so daß er sich wieder verheiraten kann. Eine schwangere Mätresse würde ihn in große Versuchung führen.«
Einen Augenblick lang dachte ich, ich hätte diesen Plan nur geträumt. Doch dann wußte ich, daß ich auf diesen Augenblick gewartet hatte. Die Warnung meines Mannes William war mir nicht aus dem Kopf gegangen, wenn auch der Gedanke zu schrecklich war, als daß man ihn in Erwägung ziehen könnte.
»Ich bin schon verheiratet«, bemerkte ich.
Meine Mutter zuckte die Achseln. »Kaum ein paar Monate. Die Ehe wurde kaum vollzogen.«
»Doch, sie wurde vollzogen«, erwiderte ich mit fester Stimme.
Mein Onkel zog eine Augenbraue in die Höhe, um meiner Mutter ihren Einsatz zu signalisieren.
»Sie war so jung«, meinte sie. »Woher hätte sie wissen sollen, was mit ihr geschah? Sie könnte schwören, daß es niemals wirklich vollbracht wurde.«
»Das kann ich nicht«, antwortete ich meiner Mutter und wandte mich meinem Onkel zu. »Ich wage es nicht. Ich kann ihr den Thron nicht wegnehmen, ich kann nicht an ihre Stelle treten. Sie ist eine Prinzessin, ich bin nur ein Boleyn-Mädchen. Ich schwöre euch, ich kann es nicht.«
Das war ihm gleichgültig. »Du brauchst nichts Außergewöhnliches zu tun«, sagte er. »Du wirst heiraten, wie man es dir aufträgt, wie du es schon einmal gemacht hast. Den Rest regele ich.«
»Die Königin wird sich niemals zurückziehen«, erwiderte ich verzweifelt. »Sie hat es mir selbst gesagt. Sie hat mir versichert, sie würde lieber sterben.«
Mein Onkel fuhr wütend auf und schritt zum Fenster. »Sie ist im Augenblick in einer starken Position«, gab er zu. »Solange |183| ihr Neffe Englands Verbündeter ist, darf niemand diesen Pakt stören, am allerwenigsten Henry, und noch dazu wegen eines Kindes, das noch nicht einmal gezeugt ist. Doch sobald der Krieg gegen Frankreich gewonnen und die Beute aufgeteilt ist, ist sie nur noch eine Frau, die zu alt für ihn ist und ihm keinen Erben mehr schenken kann. Wir alle wissen und sie weiß, daß sie dann fort muß.«
»Wenn der Krieg gewonnen wird, dann vielleicht«, wandte mein Vater besorgt ein. »Aber im Augenblick können wir keinen Bruch mit Spanien riskieren. Ich habe den ganzen Sommer darauf
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