Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
der ganzen Unbekümmertheit der Boleyns an. »Ich bin mir sicher«, erwiderte ich. »Erinnert Euch, daß ich das bei Catherine nie gesagt habe. Aber diesmal bin ich mir sicher. Ich bin sicher, daß es ein Junge wird. Vielleicht nennen wir ihn Henry.«
Der Lohn für meine Schwangerschaft wurde meiner Familie in jenem Sommer schnell zuteil. Mein Vater wurde zum Vicomte Rochford ernannt und George wurde Sir George Boleyn. Meine Mutter war nun Vicomtesse und durfte Scharlachrot tragen. Meinem Ehemann wurde zu seinem bereits vergrößerten Besitz noch ein weiteres Stück Land gewährt.
»Ich habe wohl Euch dafür zu danken, Madam«, meinte er. Er hatte sich bei Tisch neben mich gesetzt und legte mir die besten Fleischstücke vor. Als ich durch den Saal zu Henry am höchsten Tisch blickte, bemerkte ich, daß seine Augen auf mir ruhten, und lächelte zu ihm auf.
»Ich freue mich, daß ich Euch dienen kann«, erwiderte ich höflich.
Mein Mann lächelte zurück, doch seine Augen waren matt, |193| glasig vom Wein und voller Bedauern. »Und so vergeht noch ein Jahr. Ihr seid bei Hof, und ich bin im Gefolge des Königs. Wir treffen uns nie und reden kaum je miteinander. Ihr seid seine Mätresse, und ich bin ein Mönch.«
»Ich wußte nicht, daß Ihr Euch für ein Leben der Enthaltsamkeit entschieden habt«, entgegnete ich freundlich.
Er hatte so viel Anstand, über diese Bemerkung zu lächeln. »Ich bin verheiratet und doch nicht verheiratet«, bedeutete er mir. »Woher soll ich die Erben für meine neuen Ländereien nehmen, wenn nicht von meiner Ehefrau?«
Ich nickte. »Ja, da habt Ihr recht. Es tut mir leid«, meinte ich knapp.
»Wenn Ihr ein Mädchen bekommt und sein Interesse an Euch vergeht, dann schickt er Euch zu mir nach Hause zurück. Dann seid Ihr wieder meine Frau«, sagte William im Plauderton. »Wie, meint Ihr, wird es uns da ergehen? Uns und den beiden kleinen Bankerten?«
Mein Blick flog zu seinem Gesicht. »Ich mag es nicht, wenn Ihr so redet.«
»Vorsicht«, warnte er mich. »Man beobachtet uns.«
Sofort trat das leere Höflingslächeln wieder auf mein Gesicht. »Der König?« fragte ich und war darauf bedacht, mich nicht umzuschauen.
»Und Euer Vater.«
Ich nahm mir ein Stück Brot und knabberte daran, wandte ihm dann den Kopf zu, als sprächen wir über etwas völlig Unwichtiges. »Ich mag es nicht, wenn Ihr so von meiner Catherine redet«, sagte ich. »Sie trägt doch Euren Namen.«
»Und deswegen sollte ich sie wohl lieben?«
»Ich bin sicher, Ihr würdet sie lieben, wenn Ihr sie sähet«, verteidigte ich mich. »Sie ist ein wunderschönes Kind. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihr sie nicht lieben würdet. Ich hoffe, daß ich diesen ganzen Sommer bei ihr in Hever sein kann. Sie wird laufen lernen.«
Der harte Blick wich von seinem Gesicht. »Ist das Euer sehnlichster Wunsch, Mary? Ihr seid die Mätresse des Königs von England. Und Euer sehnlichster Wunsch ist es, in einer |194| kleinen Burg auf dem Land Eure Tochter das Laufen zu lehren?«
Ich lachte ein wenig. »Absurd, nicht? Aber ja, ich würde mir nichts sehnlicher wünschen, als meine Zeit mit ihr zu verbringen.«
Er schüttelte den Kopf. »Mary, Ihr straft mich Lügen«, sagte er sanft. »Gerade denke ich, daß Ihr mich übel behandelt, bin wütend auf Euch und dieses Wolfsrudel, das sich Eure Familie nennt, doch plötzlich wird mir klar, daß wir alle prächtig von Euch profitieren. Wir alle entwickeln uns großartig, und mittendrin seid Ihr und werdet von uns bei lebendigem Leibe aufgefressen. Vielleicht hättet Ihr einen Mann heiraten sollen, der Euch geliebt und für Euch gesorgt hätte, der Euch ein Kind geschenkt hätte, das Ihr immer und überall hättet stillen dürfen.«
Ich lächelte bei dem Gedanken.
»Wünscht Ihr Euch nicht, Ihr hättet einen solchen Mann geheiratet? Ich wünsche es mir manchmal. Ich wünschte, Ihr hättet einen Mann geheiratet, der euch liebte und für Euch sorgte und Euch bei sich behalten hätte, ganz gleich, welche Vorteile es ihm gebracht hätte, Euch einem anderen zu überlassen. Manchmal, wenn ich betrunken und traurig bin, wünsche ich mir, ich selbst hätte den Mut gehabt, dieser Mann zu sein.«
Ich schwieg, bis die Aufmerksamkeit unserer Nachbarn von etwas anderem abgelenkt war.
»Was geschehen ist, ist geschehen«, erwiderte ich sanft. »Es wurde alles für mich entschieden, ehe ich alt genug war, selbst zu denken. Ich bin sicher, mein Herr, daß Ihr richtig gehandelt habt, als Ihr
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