Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
dann angeboten?«
George errötete. »Sie hat mir vorgeschlagen, einen Jungen kommen zu lassen.«
Mir entfuhr ein kleines, entrüstetes Lachen, doch Anne lachte nicht.
»Warum bietet sie dir wohl so etwas an, George?«
Er schaute weg. »Am Hof gibt es einen Sänger«, antwortete er knapp. »Einen Jungen, der hübsch ist wie ein Mädchen, aber den Geist eines Mannes besitzt. Ich habe nichts gesagt, nichts getan. Aber sie hat mich einmal beobachtet, wie ich mit ihm lachte und ihm auf die Schulter klopfte – und sie denkt, daß alles nur mit Wollust zu tun hat.«
»Das ist nun schon der zweite Knabe, den man mit deinem Namen in Verbindung bringt«, bemerkte Anne. »War da nicht auch ein Page, der letzten Sommer in Ungnade nach Hause geschickt wurde?«
»Da war nichts«, erwiderte George.
»Und jetzt dies?«
»Wieder nichts.«
»Ein gefährliches Nichts«, meinte Anne. »Eine gefährliche Sammlung von Nichtsen. Buhlerei ist eine Sache, aber für diese Art von Fehltritt kannst du gehängt werden.«
Wir verstummten. George schüttelte den Kopf. »Es ist nichts«, beharrte er. »Und außerdem ist das meine Sache. Mich ekeln Frauen an, ihre ständige Begierde und ihr ewiges Gerede. Ihr wißt schon, all die Sonette und Tändeleien und leeren Versprechungen. Ein Knabe ist so rein und klar …« Er wandte sich ab. »Es ist eine Laune. Ich werde ihr keine Beachtung schenken.«
Anne blickte ihn an, und ihre Augen wurden schmal und berechnend. »Es ist eine Todsünde. Du verbietest dir diese Laune besser.«
Er wich ihrem Blick nicht aus. »Das weiß ich selbst, Fräulein Schlau«, meinte er.
»Und was ist mit Francis Weston?« fragte ich.
»Was soll mit ihm sein?« erwiderte George.
»Ihr steckt immer zusammen.«
|198| »Wir sind ständig im Dienst des Königs«, berichtigte mich George. »Wir warten ständig auf den König. Und dann müssen wir mit den Mädchen bei Hof tändeln und mit ihnen Skandalgeschichten austauschen. Es ist kein Wunder, daß mich alles anwidert. Dieses Leben, das ich führe, macht mich bis in die tiefste Seele hinein der Frauen und ihrer Eitelkeit überdrüssig.«
|199| Herbst 1525
Als ich im Herbst an den Hof zurückkehrte, wurde wieder einmal der Familienrat zusammengerufen. Ich bemerkte amüsiert, daß man mir einen großen geschnitzten Stuhl mit Lehne und Samtpolster hingestellt hatte. Nun war ich eine junge Frau, die vielleicht den Sohn des Königs unter dem Herzen trug.
Man beschloß, Anne im Frühjahr an den Hof zurückzuholen.
»Sie hat ihre Lektion gelernt«, verkündete mein Vater. »Und jetzt, da Marys Stern so hoch steigt, sollte Anne wieder bei Hof sein. Wir müssen sie verheiraten.«
Onkel nickte, und dann ging man zu einem wichtigeren Thema über: Was mochte sich der König wohl dabei gedacht haben, als er mit der gleichen Verfügung, die meinen Vater in den Adelsstand erhoben hatte, auch Bessie Blunts Jungen zum Herzog ernannte? Henry Fitzroy, ein Knabe von gerade einmal sechs Jahren, war nun Herzog von Richmond und Surrey, Graf von Nottingham und Großadmiral der englischen Flotte.
»Es ist absurd«, meinte mein Onkel kategorisch. »Aber es zeigt uns, wie er denkt. Er macht Fitzroy zum nächsten Erben.«
Er hielt inne, schaute uns vier an: Mutter, Vater, George und mich. »Es zeigt uns, daß er wirklich verzweifelt ist. Er muß eine neue Eheschließung erwägen. Das ist immer noch der sicherste, schnellste Weg, zu einem Erben zu kommen.«
»Wenn Wolsey eine neue Ehe arrangiert, wird er wohl kaum an uns denken«, bemerkte mein Vater. »Warum sollte er auch? Er ist nicht unser Freund. Er wird sich nach einer französischen Prinzessin umsehen oder nach einer portugiesischen.«
»Aber was ist, wenn sie einen Sohn bekommt?« fragte |200| Onkel und deutete mit dem Kopf auf mich. »Wenn die Königin aus dem Weg geschafft wird? Sie ist ein Mädchen von edler Geburt, so gut wie Henrys Mutter. Zum zweiten Mal schwanger von ihm. Die Chancen stehen nicht schlecht, daß sie einen Sohn unter dem Herzen trägt. Wenn er sie heiraten würde, dann hätte er seinen Erben. Sofort. Und sein Problem wäre gelöst.«
Ich blickte mich am Tisch um und sah, daß sie alle schweigend nickten. »Die Königin wird niemals freiwillig weichen«, sagte ich schlicht. Immer mußte ausgerechnet ich sie an die Tatsachen erinnern.
»Wenn der König ihren Neffen nicht mehr braucht, braucht er auch sie nicht mehr«, erwiderte mein Onkel brutal. »Der Vertrag von ›The More‹, den Wolsey mit so viel
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